Leitsatz (amtlich)

Entscheidet das Familiengericht unzutreffend im vereinfachten schriftlichen Verfahren nach § 155a Abs. 3 FamFG, fehlt es an einer Entscheidung in der Sache. Gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG ist dann auch ohne Antrag eine Zurückverweisung auszusprechen.

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin werden der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Freiburg vom 18.10.2021 und das zugrundeliegende Verfahren aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - Freiburg zurückverwiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Im Übrigen wird dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des Kindes L. R., geboren ... 2021.

Der Antragsteller beantragte, die elterliche Sorge für das Kind den Eltern gemeinsam zu übertragen. Er habe regelmäßig Umgang mit dem Kind und es bestehe eine Bindung zwischen ihm und dem Kind.

Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag zurückzuweisen. Sie leide sehr unter dem Verhalten des Antragstellers seit der Trennung. Sie müsse ihre Adresse geheim halten. Sie befürchte Repressalien und, dass der Antragsteller eine gemeinsame Sorge dazu benutzen würde, in ihr Leben hinein zu regieren, wie er es bereits angedroht habe.

Mit Beschluss vom 18.10.2021 übertrug das Amtsgericht - Familiengericht - Freiburg ohne mündliche Verhandlung gemäß § 155a Abs. 3 Satz 1 FamFG die elterliche Sorge für das Kind L. den Kindeseltern gemeinsam. Zur Begründung führte es aus, die Antragsgegnerin habe keine Gründe vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, dass die gemeinsame elterliche Sorge dem Kindeswohl widerspreche.

Gegen diese ihr am 20.10.2021 zugestellte Entscheidung, wendet sich die Antragsgegnerin mit der am 05.11.2021 beim Amtsgericht Freiburg eingegangenen Beschwerde. Sie trägt ergänzend vor, ihr Lebensgefährte hätte in einem damals Aufsehen erregenden Prozess gegen Angehörige eines Chapters der Hells Angels ausgesagt. Da der Antragsteller Sympathisant des S. Chapters der Hells Angels sei und dorthin Kontakte unterhalte, sei nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller, sollte er aufgrund einer gemeinsamen elterlichen Sorge Kenntnis von der Anschrift der Antragsgegnerin und des Kindes erlangen, diese an die Mitglieder des Chapters der Hells Angels weitergeben könnte. Dadurch würden Leib und Leben der Antragsgegnerin und des Kindes gefährdet werden.

Der Senat hat mit Verfügung vom 11.11.2021 darauf hingewiesen, dass das Jugendamt, Landratsamt B., anzuhören sei, §§ 155a Abs. 4, 155 FamFG, und der Senat erwäge, gemäß § 69 FamFG die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erstmaligen inhaltlichen Sachprüfung der Frage, ob die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht, an das Familiengericht F zurückzuverweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Des Weiteren regt er an, Maßnahmen nach § 1666 BGB zum Schutz des Kindes in die Wege zu leiten. Er trägt vor, mit dem S. Chapter der Hells Angels nicht zu tun zu haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

1. Das Familiengericht hätte nicht nach § 155a Abs. 3 FamFG im vereinfachten Verfahren entscheiden dürfen, sondern das Verfahren gemäß §§ 155a Abs. 4 Satz 1, 155 Abs. 2 und 3 FamFG führen müssen.

a) In den Fällen des § 1626a Abs. 2 Satz 2 BGB soll das Gericht im schriftlichen Verfahren ohne Anhörung des Jugendamtes und ohne persönliche Anhörung der Eltern entscheiden, § 155a Abs. 3 Satz 1 FamFG. Voraussetzung für das vereinfachte Verfahren ist, dass der andere Elternteil keine Gründe vorträgt, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können und solche Gründe auch sonst nicht ersichtlich sind. Werden dem Gericht jedoch durch Vortrag der Beteiligten oder auf sonstige Weise Gründe bekannt, die der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können, ist ein Erörterungstermin zu bestimmen, § 155a Abs. 4 Satz 1 FamFG. Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren kommt dann nicht in Betracht.

An die Darlegung der Gründe sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt, wenn - jedenfalls im Ansatz - Gründe vorgetragen werden, die im Bezug zum gemeinsamen Kind, zum Eltern-Kind-Verhältnis und/oder konkret zum Verhältnis der beteiligten Eltern und somit im Zusammenhang mit der Einrichtung des Sorgerechts stehen können (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2014, 1797, juris Rn. 19; Grüneberg/Götz, BGB, 81. Auflage 2022, § 1626a Rn. 12).

b) Vorliegend haben nach Überzeugung des Senats bereits die erstinstanzlichen Ausführungen der Antragsgegnerin konkrete Bezüge zum gem...

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