Leitsatz (amtlich)
Bei der Prüfung, in welchem Ausmaß Schweizerische Rentenanrechte des einen Ehegatten bei der AHV/IV einem Ausgleich inländischer Anrechte des anderen Ehegatten nach § 19 Abs. 3 VersAusglG entgegenstehen, kann eine überschlägige Berechnung auf der Grundlage des Auszugs aus dem individuellen Konto und bei Anwendung der aktuellen Rechengrößen vorgenommen werden.
Verfahrensgang
AG Lörrach (Aktenzeichen 10 F 57/21) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lörrach vom 18.01.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 15./16.03.2022 teilweise abgeändert.
Ziff. 2 a. des Tenors entfällt
2. Die Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte; außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.170 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist die Folgesache Versorgungsausgleich im Scheidungsverbund.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner haben 1999 geheiratet. Der Scheidungsantrag wurde dem Antragsgegner 2021 zugestellt.
Während der Ehezeit hat u.a. die Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung ein Anrecht erlangt. Der Versorgungsträger hat in seiner Auskunft vom 27.08.2021 (I 179 VA) den Ehezeitanteil mit 8,2361 Entgeltpunkten und den Ausgleichswert mit 4,1181 Entgeltpunkten mitgeteilt. Der korrespondierende Kapitalwert beträgt 31.819,02 EUR.
Der Antragsgegner hat während der Ehezeit u.a. Versorgungsanrechte bei der AHV Schweiz sowie Anrechte aus der schweizerischen betrieblichen Vorsorge bei der M.-Pensionskasse erworben. Für erstere hat er einen Auszug aus dem individuellen Konto mit Datum vom 26.04.2021 vorgelegt (II 36).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 18.01.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 15./16.03.2022 hat das Familiengericht die Ehe der beteiligten Ehegatten geschieden. Den Versorgungsausgleich hat es in der Weise durchgeführt, dass es über die auf Seiten des Antragsgegners bestehenden inländischen Anrechte entschieden hat, die beiden Schweizerischen Anrechte des Antragsgegners hat es dem Versorgungsausgleich nach der Scheidung vorbehalten. Auch auf Seiten der Antragstellerin wurde über sämtliche inländischen Anrechte entschieden, indem insbesondere das Anrecht bei der Deutschen Rentenversicherung intern geteilt wurde. Der Beschluss wurde der Antragstellerin am 21.02.2022 zugestellt (I 141).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin mit Anwaltsschriftsatz vom 20.03.2022, eingegangen beim Familiengericht am gleichen Tag. Sie macht geltend, das Anrecht der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung sei ebenfalls dem Versorgungsausgleich nach der Scheidung vorzubehalten.
Ein Hinweis eines anderen Versorgungsträgers des Antragsgegners auf ein weiteres Anrecht des Antragsgegners hat sich als Versehen herausgestellt.
Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme im Beschwerdeverfahren.
Zu den Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. 1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 58 ff., 228 FamFG zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt.
2. Gegenstand der Beschwerde sind zunächst sämtliche Anrechte der Antragstellerin. Im Rahmen des hier anzuwendenden § 19 Abs. 3 VersAusglG kann die Entscheidung, welches konkrete Anrecht der Antragstellerin nicht auszugleichen ist, von Amts wegen getroffen werden. Im Übrigen besteht aber keine wechselseitige Abhängigkeit des Ausgleichs der Anrechte (vgl. BGH FamRZ 2016, 794, juris Rn. 7). Auf die zulässige Erweiterung der Beschwerde durch die Antragstellerin kommt es nicht an, da das entsprechende Anrecht des Antragsgegners dann doch nicht bestand.
3. Die Beschwerde der Antragstellerin führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Zutreffend macht die Antragstellerin geltend, dass hinsichtlich ihres Anrechts bei der Deutschen Rentenversicherung gemäß § 19 Abs. 3 VersAusglG ein Wertausgleich bei der Scheidung nicht stattfindet, da dies für die Antragstellerin unbillig wäre.
a) Das Bestehen des Schweizerischer Anrechts des Antragsgegners bei der AHV/IV verpflichtet das Gericht zu einer Billigkeitsprüfung, nach der jeweils im Einzelfall festzustellen ist, inwieweit die Durchführung des Wertausgleichs bei der Scheidung für den Ehegatten unbillig ist, der - wie hier die Antragstellerin - ausgleichsreife inländische Anrechte abgeben muss und in Bezug auf die ausländischen Anrechte des anderen Ehegatten auf den deutlich schwächeren Wertausgleich nach der Scheidung verwiesen wird. Die korrekte Durchführung der nach § 19 Abs. 3 VersAusglG vorzunehmenden Billigkeitsprüfung setzt grundsätzlich voraus, dass das Gericht von Amts wegen nicht nur Feststellungen zum Grund, sondern auch zur Höhe der ausländischen Anrechte vornimmt und zumindest überschlägig zu ermitteln versucht, ob der Wert der nicht ausgleichsreifen ausländischen Anrech...