Leitsatz (amtlich)
Eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO kommt bei gerichtlichen Vergleichen nach vorausgegangenem Urteil nicht in Betracht.
Normenkette
ZPO § 269 Abs. 4, §§ 732, 767
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 11.11.2011; Aktenzeichen 6 O 295/09) |
Tenor
1. Der Antrag der Beklagten, die Wirkungslosigkeit des Urteils des LG Karlsruhe vom 11.11.2011 - 6 O 295/09 - festzustellen, wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger machten gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage geltend.
2011 gab das LG Karlsruhe der erhobenen Klage überwiegend statt. Gegen diese Entscheidung legten die Beklagte Berufung, die Kläger Anschlussberufung ein. 2013 stellte der Senat gemäß § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen eines Vergleichs fest. Ausdrückliche Vereinbarungen hinsichtlich des erstinstanzlichen Urteils wurden nicht getroffen.
2015 hat die Beklagte beantragt, "analog § 269 Abs. 4 ZPO auszusprechen, dass das Urteil des LG Karlsruhe wirkungslos ist." Sie ist der Auffassung, dass sie ungeachtet anderer Rechtsschutzmöglichkeiten im Zwangsvollstreckungsverfahren ein berechtigtes Interesse an der deklaratorischen Feststellung der Wirkungslosigkeit des erstinstanzlichen Urteils habe. Die Kläger sind dem Antrag entgegen getreten. Sie sehen keinen Anlass für eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO.
Entscheidungsgründe
Der Antrag der Beklagten ist zurückzuweisen.
1. Es ist schon zweifelhaft, ob die Beklagte überhaupt ein anerkennenswertes Interesse an der begehrten Entscheidung hat. Es wird weder vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass die Kläger aus dem landgerichtlichen Urteil die Zwangsvollstreckung betreiben wollen und es daher im Vollstreckungsverfahren der Vorlage einer gerichtlichen Entscheidung entsprechend § 775 Nr. 1 ZPO bedürfte.
2. Diese Frage kann im Ergebnis offen bleiben. Der Antrag der Beklagten ist nämlich jedenfalls in der Sache nicht begründet. Eine analoge Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO kommt nicht in Betracht. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke, die es rechtfertigen könnte, die dort normierten Rechtsfolgen generell ausdehnend auf den Fall eines Vergleichsabschlusses anzuwenden.
Die Sachverhalte einer Klagerücknahme und eines Prozessvergleichs sind schon vom Ansatz her nicht vergleichbar, sodass eine analoge Anwendung der Vorschriften zur Klagerücknahme a priori nicht besonders nahe liegt. Die Klagerücknahme ist eine Prozesshandlung des Klägers, die nur nach Beginn der mündlichen Verhandlung (und auch nur hinsichtlich der Hauptsache) zur Wirksamkeit der Zustimmung des Beklagten bedarf und zum rückwirkenden Wegfall der Rechtshängigkeit (ex tunc) führt. Demgegenüber ist der Prozessvergleich sowohl Prozesshandlung aller hieran beteiligter Parteien als auch zugleich materiell-rechtlicher Vertrag nach § 779 BGB (Doppelnatur des Prozessvergleichs, vgl. u.a. BGH MDR 2006, 284; Stöber in: Zöller, ZPO, 30. A., § 794 Rn. 3 Rn. 3). Der gerichtliche Vergleich beendet als Prozesshandlung den Rechtstreit und die Rechtshängigkeit ex nunc. Ein bereits ergangenes, nicht rechtskräftiges Urteil wird - insoweit wie im Fall der Klagerücknahme - wirkungslos, soweit es durch den Vergleich nicht ausdrücklich aufrechterhalten wird (Stöber, aaO, Rn. 13 m.w.N.). Allerdings treten diese Folgen nur dann ein, wenn der Prozessvergleich wirksam ist. Ein nichtiger Prozessvergleich beendet die Rechtshängigkeit dagegen nicht, unabhängig davon, ob die Nichtigkeit von Anfang an bestand oder erst rückwirkend eingetreten ist (BGHZ 79, 71; Stöber, aaO).
Bei einem Prozessvergleich ist eine entsprechende Anwendung des § 269 Abs. 4 ZPO zudem deshalb nicht geboten, weil die Parteien die Möglichkeit haben, in diesem Rahmen Regelungen zu einem vorangegangenem Urteil zu treffen. So ist es beispielsweise ohne weiteres möglich, bereits bei Abschluss des Vergleichs die künftige Vollstreckung aus diesem von der Übergabe aller aufgrund des Urteils nebst Kostenfestsetzung erteilten vollstreckbaren Ausfertigungen abhängig zu machen (vgl. Münzberg in: Stein/Jonas, ZPO, 22. A., § 794 Rn. 37 m.w.N.) oder einen Anspruch der durch das Urteil beschwerten Partei auf Titelherausgabe zu verschaffen. Ebenfalls denkbar ist es, in einem Vergleich die Verpflichtung des Klägers zur Rücknahme der Klage aufzunehmen. Nimmt der Kläger dann vereinbarungsgemäß die Klage zurück, so sind §§ 269 Abs. 3, 4 ZPO unmittelbar anwendbar, wobei dann die im Vergleich vereinbarte Kostenquote Vorrang vor der gesetzlichen Regelung des § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 09.01.2014, IV ZR 235/11, juris). Unterlassen die Parteien eines Prozessvergleichs aus welchen Gründen auch immer derartige Vereinbarungen, ist es nicht Sache der Gerichte, ein solches Versäumnis durch den Rückgriff auf § 269 Abs. 4 ZPO auszugleichen. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der durch das Urteil beschwerten Partei keine...