Leitsatz (amtlich)
Bei einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten darf sich die Vollstreckungsbehörde bei der Versagung von Lockerungen nach § 11 Abs. 2 StVollzG nicht auf pauschale Wertungen oder den Hinweis auf eine abstrakte Flucht- oder Missbrauchsgefahr i.S. von § 11 Abs. 2 StVollzG beschränken. Insbesondere ist es ihr versagt, vom Wissen des Gefangenen, um die Möglichkeit, er werde künftig keine weitergehenden Lockerungen erhalten, pauschal auf Fluchtabsichten bei einer Ausführung, bei der im Rahmen der vorgesehenen Begleitung der Fluchtgefahr in gewissem Rahmen entgegengewirkt werden kann, zu schließen.
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - F. vom 21. August 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über den Antrag auf Prozesskostenhilfe und über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gründe
Der Antragsteller wurde am 27.04.1983 u.a. wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. 15 Jahre der lebenslangen Freiheitsstrafe und zwei während des Vollzugs ausgesprochene Freiheitsstrafen waren am 02.01.1999 verbüßt.
Am 27.02.2001 hat der Verurteilte Ausführung zur Anlaufstelle des Bezirksvereins für soziale Rechtspflege beantragt, die mit Bescheid der Justizvollzugsanstalt vom 16.05.2001 abgelehnt wurde. Nach Aufhebung dieser Verfügung durch die Strafvollstreckungskammer am 10.12.2001 wurde die beantragte Ausführung mit von der Teilanstaltsleiterin unterschriebenem Bescheid der Justizvollzugsanstalt F. vom 22.01.2002, dem am 17.05.2002 eine wort- und inhaltsgleiche Verfügung des Anstaltsleiters folgte, wiederum abgelehnt. Mit am 07.02.2002 bei der Strafvollstreckungskammer eingekommenem Schriftsatz hat der Gefangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Justizvollzugsanstalt F. vom 22.01.2002 gestellt, den er mit am 28.06.2002 eingekommenem Schriftsatz um die Verfügung vom 17.05.2002 erweitert hat. Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angegriffenen Beschluss den Antrag des Strafgefangenen auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verfügung vom 22.01.2002 und auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Da dieser Bescheid als Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt F. anzusehen sei, sei eine Entscheidung über den am 28.06.2002 eingegangenen Antrag auf Aufhebung dieser Verfügung nicht veranlasst.
Die Rechtsbeschwerde, die zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen war (§ 116 Abs. 1 StVollzG), hat vorläufigen Erfolg.
Allerdings kann der Antragsteller mit der Verfahrensrüge nicht durchdringen. Der Bescheid vom 17.05.2002 stellt nämlich keine Maßnahme i.S.d. § 109 Abs. 1 S. 1 StVollzG dar, gegen die sich der Antragsteller zulässig mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wenden könnte. Es handelt sich insoweit nur um eine bloße Wiederholung des bereits ergangenen Bescheids vom 22.1.2002, der unmittelbare Rechtserheblichkeit nicht zukommt und der ersichtlich keine neue Sachprüfung der Justizbehörde zugrundelag (vgl. Kopp/Ramsauer VwVfG, 8 Aufl., zu § 35 Rn. 55).
Doch hat die Rechtsbeschwerde in der Sache Erfolg. Voraussetzung für die Gewährung der vom Verurteilten beantragten Ausführung (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG) ist nach § 11 Abs. 2 StVollzG - neben der Zustimmung des Gefangenen-, dass nicht zu befürchten ist, er werde die Lockerung zur Flucht oder zur Begehung neuer Straftaten missbrauchen. Bei dieser Flucht- und Missbrauchsklausel handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der Justizvollzugsanstalt auf der Tatbestandsseite eine Einschätzungsprärogative und damit einen Beurteilungsspielraum belässt (vgl. BGHSt 30, 320 ff.; OLG Karlsruhe StV 2002, 34 f.). Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich auf die Prüfung, ob die Justizvollzugsanstalt ihrem Bescheid den richtigen Maßstab für die Annahme von Flucht- oder Missbrauchsgefahr zugrundegelegt, den Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt und die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten hat (vgl. BGHSt 30, 321, 327; OLG Karlsruhe ZfStrVollstr 1983, 181). Insbesondere bei zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten unterliegt dabei auch ihrer Kontrolle, ob die Vollzugsbehörde die Bedeutung der Vollzugslockerungen für die grundrechtlich garantierten Rechte des Gefangenen bei ihrer Entscheidung beachtet hat. Im Umfang der ihr so eröffneten Prüfung sind die Gerichte zur umfassenden Sachaufklärung verpflichtet (BVerfG NStZ 1998, 430 ff.).
Eine ausreichende Prüfung und Feststellung in diesem Sinne enthält der angefochtene Beschluss indessen nicht, so dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine rechtliche Überprüfung anhand der Feststellungen nicht möglich ist. Dabei ist allerdings zu besorgen, dass die Justizvollzugsanstalt bei ihrer Entscheidung bereits einen unzutreffenden Gefahrenmaßstab angelegt hat. Denn insbesondere in Fällen eines zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten darf sich die Justizvollzugsanstalt nicht auf...