Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkludentes Anerkenntnis und Änderungsmitteilung des Versicherers in der Berufsunfähigkeitsversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Nimmt der Versicherer nach einem Leistungsantrag des Versicherungsnehmers die laufende Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente auf, so liegt darin - wenn die Zahlung nicht mit Vorbehalten verbunden wird - in der Regel ein konkludentes Anerkenntnis des Versicherers im Sinne von § 173 Abs. 1 VVG, bzw. im Sinne der üblichen Bedingungen in der Berufsunfähigkeits-Versicherung.
2. Nach einem konkludenten Anerkenntnis kann sich der Versicherer auf spätere Veränderungen in den Verhältnissen des Versicherungsnehmers (hier: Umorganisation eines kleinen Handwerksbetriebs) nur berufen, wenn er die Anforderungen des Nachprüfungsverfahrens einhält. An eine formell ordnungsgemäße Änderungsmitteilung sind dabei hohe Anforderungen zu stellen.
Normenkette
VVG § 173 Abs. 1, § 174 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Waldshut-Tiengen (Urteil vom 21.07.2014; Aktenzeichen 1 O 4/14) |
Tenor
Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Waldshut-Tiengen vom 21.07.2014 - 1 O 4/14 - gemäß § 522 Absatz 2 ZPO. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe
I. Der Kläger war als selbstständiger Schreinermeister tätig. Am 04.12.2002 erlitt er einen Arbeitsunfall, der zu dauerhaften Beeinträchtigungen seiner körperlichen Leistungsfähigkeit führte. Zu diesem Zeitpunkt unterhielt der Kläger bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, die er zu einem unbekannten Zeitpunkt in der Vergangenheit abgeschlossen hatte. Unstreitig hatten die Parteien die Bedingungen vereinbart, die sich aus dem vorgelegten Versicherungsschein nebst Anlagen, insbesondere aus den Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitsschutz (Anlage K 1, im Folgenden abgekürzt BUZ) ergeben. In den vertraglichen Vereinbarungen war eine Berufsunfähigkeitsrente vereinbart, wenn der Versicherte zu mindestens 50 % berufsunfähig wurde (§ 4 BUZ). Die Beklagte stellte nach dem Arbeitsunfall des Klägers eine Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % fest und zahlte ab einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2003 eine monatliche Rente, die zuletzt 1.156,66 EUR betrug.
Mit Schreiben vom 05.07.2013 (Anlage B 1) erklärte die Beklagte, sie prüfe, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der Rente an den Kläger weiter vorliegen. Sie forderte den Kläger auf, eine neue ärztliche Bescheinigung zum Krankheitsverlauf, zum derzeitigen Behandlungsstand und zur gesundheitlichen Prognose beizubringen. Außerdem sollte der Kläger verschiedene Fragen beantworten, die seine derzeitige berufliche Tätigkeit und die Verhältnisse des weiter von ihm geführten Betriebes betrafen.
Es ergab sich ein Schriftwechsel zwischen den Parteien, in welchem der Kläger u.a. mit Schreiben vom 14.08.2013 (Anlage B 5) und vom 05.09.2013 (Anlage B 7) die Fragen der Beklagten beantwortete. Dabei wies er insbesondere darauf hin, dass seine tägliche Arbeitszeit im Durchschnitt (einschließlich sämtlicher Tätigkeiten und Nebentätigkeiten in seinem Betrieb) 3 - 3,5 Stunden betrage. Sein Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert. Zu einer Tätigkeit in einem größeren zeitlichen Umfang sei er nicht in der Lage.
Mit Schreiben vom 13.09.2013 (Anlage K 2, I 41) kündigte die Beklagte an, sie werde die Rentenzahlungen an den Kläger zum 31.10.2013 einstellen. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung wie folgt:
Wir können - wenn wir die Jahre 2010 bis 2013 vergleichen - feststellen, dass die Mehrkosten, die durch die Einstellung eines zusätzlichen Auszubildenden entstanden sind, wiederum kompensiert werden durch eine Verringerung der Materialkosten. Letzteres hängt damit zusammen, was Sie uns anschaulich erläuterten, dass Sie keine Möbel mehr fertigen, sondern durch Ihre Mitarbeiter in Ihrem Betrieb Montagearbeiten durchführen lassen, die wirtschaftlich wegen der höheren Gewinnspannen auskömmlicher sind. Auch haben Sie den Zweig der Bestattungen hinzugenommen, um damit ebenfalls gestiegene Personalkosten zu kompensieren.
Die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung verfolgt den Zweck, den krankheitsbedingten sozialen Abstieg zu verhindern. Dabei ist beim mitarbeitenden selbstständigen Handwerker auch das für seinen Beruf typische Direktionsrecht zu berücksichtigen, das ihm gegenüber seinen Arbeitern und Angestellten ermöglicht, die von ihm selbst ausgeübten Tätigkeiten auf andere zu übertragen.
Sofern ihm eine solche Umorganisation ohne nennenswerte Einkommenseinbußen möglich und zumutbar ist und ihm ein ausreichendes Betätigungsfeld verbleibt, ist er nicht als außerstande anzusehen seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen.
Im Rahmen der Nachprüfung können wir nachträglich entstandene oder wahrgenommene Umorganisationsmöglichkeiten berücksichtigen soweit sie zumutbar sind. Die eingangs dargestellten betrieblichen Veränderungen seit unsere...