Leitsatz (amtlich)

1. Die gleichzeitige Geltendmachung eines Rechtsanspruchs durch einstweilige Anordnung und im Hauptsacheverfahren ist grundsätzlich nicht mutwillig im Sinne des § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO.

2. In FG-Angelegenheiten kann jedoch im Einzelfall Mutwilligkeit angenommen werden, wenn bereits durch den Erlass und Vollzug einer einstweiligen Anordnung sich die Angelegenheit erledigt.

3. In Gewaltschutzverfahren würde ein kostenbewusster Beteiligter das Hauptsacheverfahren erst dann einleiten, wenn die im einstweiligen Anordnungsverfahren getroffenen Maßnahmen ein Hauptsacheverfahren deshalb nicht entbehrlich machen, weil sie wider Erwarten nicht zu einer Entspannung und Befriedung der Beteiligten führen.

 

Verfahrensgang

AG Singen (Aktenzeichen 2 F 664/16)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Singen vom 30.01.2017 (2 F 664/16) wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt Verfahrenskostenhilfe für einen Gewaltschutzantrag im Hauptsacheverfahren.

Die Beteiligten sind nicht miteinander verheiratete Eltern zweier Söhne im Alter von ... und ... Jahren. Mit Schriftsätzen vom 09.12.2016, beide eingegangen beim Amtsgericht - Familiengericht - Singen am 12.12.2016, begehrte die Antragstellerin im Verfahren 2 F 663/16 eine einstweilige Anordnung und im Verfahren 2 F 664/16 eine Anordnung im Hauptsacheverfahren nach § 1 Gewaltschutzgesetz. In beiden Verfahren war beantragt die Untersagung des Betretens der Wohnung der Antragstellerin, der Annäherung an die Antragstellerin in einem Umkreis von 50 m sowie der Kontaktaufnahme mittels Kommunikationsmitteln. Im Hauptsacheverfahren begehrte die Antragstellerin darüber hinaus die Untersagung der Annäherung an den Kindergarten des ...jährigen Sohnes sowie die Herausgabe der zur Wohnung der Antragstellerin gehörenden Schlüssel. In beiden Verfahren beantragte die Antragstellerin die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe.

Im Verfahren 2 F 663/16 erließ das Familiengericht nach anfänglichen Zustellschwierigkeiten wegen Nichterreichbarkeit des Antragsgegners, die erst am 16.01.2017 durch persönliche Zustellung über den Bewährungshelfer des Antragsgegners behoben werden konnten, ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 30.01.2017 die begehrte einstweilige Anordnung befristet bis 26.07.2017, ordnete die sofortige Wirksamkeit an und gewährte mit Beschluss vom selben Tage die beantragte Verfahrenskostenhilfe. Im Hauptsacheverfahren 2 F 664/16 wies das Familiengericht mit Verfügung vom 12.12.2016 darauf hin, dass angesichts des einstweiligen Anordnungsverfahrens für das Hauptsacheverfahren Verfahrenskostenhilfe nicht bewilligt werden könne, und regte die Rücknahme des Antrags an. Nach Stellungnahme der Antragstellerin wies das Familiengericht mit weiterer Verfügung vom 22.12.2016 darauf hin, dass die Anträge im Hauptsacheverfahren, die über das Begehren des einstweiligen Anordnungsverfahrens hinaus gingen, ohne Weiteres auch dort geltend gemacht werden könnten. Eine weitergehende Antragstellung im einstweiligen Anordnungsverfahren erfolgte nicht. Mit Beschluss vom 30.01.2017 lehnte das Familiengericht den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe im Hauptsacheverfahren wegen Mutwilligkeit ab. Beide Verfahren seien auf das gleiche Rechtsschutzziel gerichtet. Eine tatsächliche Notwendigkeit für das Betreiben des Hauptsacheverfahrens bestehe nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidung des Familiengerichts verwiesen.

Gegen diesen - ihr am 01.02.2017 zugestellten - Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 09.02.2017 beim Familiengericht eingegangenen Beschwerde. Zur Begründung trägt die Antragstellerin vor, das einstweilige Anordnungsverfahren und das Hauptsacheverfahren hätten nicht das gleiche Rechtsschutzziel, da im Hauptsacheverfahren zusätzlich die Untersagung der Annäherung an den Kindergarten des ...jährigen Sohnes sowie die Herausgabe der im Besitz des Antragsgegners befindlichen Hausschlüssel begehrt worden sei.

Das Familiengericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 09.02.2017 nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt.

II. Die gemäß § 76 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit §§ 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin ist mutwillig, § 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO.

1. Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht, § 114 Abs. 2 ZPO. Maßstab ist ein nicht hilfsbedürftiger Beteiligter, der die Kosten der Rechtsverfolgung selbst aufzubringen hat. Dieser wird regelmäßig bestrebt sein, den für ihn kostengünstigsten Weg zu wählen, wenn damit seinem Anliegen ausreichend Rechnung g...

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