Leitsatz (amtlich)

1. Durch die Auswahl eines neuen Vormunds ist die Pflegeperson grundsätzlich nicht in eigenen Rechten i.S.v. § 59 Abs. 1 FamFG betroffen und daher nicht beschwerdebefugt.

2. Hatte das minderjährige Kind als in einem Kindschaftsverfahren formell Beteiligter (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) rechtlich keine Möglichkeit, selbst Beschwerde gegen die seine Rechte i.S.v. § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigende erstinstanzliche Entscheidung einzulegen, ist es zur Wahrung des Kindeswohls und der Persönlichkeitsrechte des Kindes verfassungsrechtlich geboten, die Beschwerde der Pflegeperson in verfassungskonformer Auslegung der §§ 303 Abs. 2, 335 Abs. 1 Nr. 1 FamFG als zulässig anzusehen.

3. Ein ehrenamtlicher Einzelvormund ist vorrangig vor einem Berufsvormund zu bestellen.

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 06.09.2011; Aktenzeichen 701 F 11/10)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 4 werden Ziff. 2 und 3 des Beschlusses des AG - Familiengericht - Freiburg vom 6.9.2011 (701 F 11/10) dahingehend abgeändert, dass die Beteiligte Ziff. 4, Frau P., zum neuen Vormund bestellt wird.

Die Vormundschaft wird ehrenamtlich geführt.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Auswahl eines Vormundes für den am ... geborenen F.

F. ist der Sohn der nicht miteinander verheirateten Eltern M., geboren am ..., und C. A., geboren am ... Sie haben für ihn am 12.11.2007 eine gemeinsame Sorgeerklärung abgegeben. Beide Eltern leiden an einer Borderline-Störung.

Am 16.6.2008 wurde F. von den damaligen Partnerinnen P. und R. in ihrer Funktion als Bereitschaftspflegefamilie aufgenommen. Zum 1.10.2008 erfolgte die Umwandlung in ein Dauerpflegeverhältnis. Im August 2009 trennten sich die Pflegemütter. F. lebt seitdem im Haushalt der Pflegemutter P. (Beteiligte Ziff. 4), hielt sich aber auch in nicht unerheblichem Umfang bei Frau R. auf. Seit Anfang 2011 hat F. klar seinen Lebensmittelpunkt bei der Beteiligten Ziff. 4; Frau R. hat 14-täglichen Wochenendumgang sowie Ferienumgang mit F..

Mit Beschluss des AG - Familiengericht - Freiburg vom 11.6.2008 (41 F 138/08) wurde F. Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung das Sorgerecht nach § 1666 BGB teilweise entzogen und Pflegschaft angeordnet. Zur Pflegerin wurde Rechtsanwältin H. bestellt. Am 19.5.2009 erging nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Hauptsacheentscheidung, nach der den Eltern das Sorgerecht insgesamt entzogen, Vormundschaft angeordnet und die bisherige Pflegerin Rechtsanwältin H. zum Vormund bestellt wurde.

Am 28.4.2011 regte Rechtsanwältin H. an, einen Vormundwechsel vorzunehmen und Dipl.-Sozialarbeiter (FH) V. zum Vormund zu bestellen. Zur Begründung trug sie vor, dass F. in einem System lebe, das sehr weiblich bestimmt sei. Es entstehe der Eindruck, dass es erforderlich sei, einen anderen Blickwinkel in das System und vor allem eine andere Bezugsmöglichkeit für F. zu bieten.

Die Beteiligte Ziff. 4 und Frau R. wurden zum beabsichtigten Vormundwechsel angehört. Die Beteiligte Ziff. 4 beantragte am 8.6.2011 telefonisch und mit Anwaltsschriftsatz vom 21.7.2011 schriftlich, dass ihr bei einem Vormundwechsel die Vormundschaft übertragen werde. Sie sorge für einen Kontakt von F. zur leiblichen Mutter; auch halte sie die Beziehung zum Vater und dessen Eltern erfolgreich aufrecht.

Die leibliche Mutter, die Beteiligte Ziff. 3, unterstützt das Anliegen der Beteiligten Ziff. 4 nachdrücklich. Der Vater hat sich nicht geäußert.

Die frühere Pflegemutter R. spricht sich demgegenüber gegen die Übertragung der Vormundschaft auf die Beteiligte Ziff. 4 aus. Zur Begründung trägt sie vor, dass ihr Verhältnis untereinander sehr angespannt sei und ihr Umgang zu F. nur durch die Einschaltung eines Dritten als Vormund, der als Ansprechpartner zur Verfügung stehe, gesichert sei.

Diese Auffassung teilt auch die frühere Vormündin H.. Mit Schriftsatz vom 6.8.2011 äußerte sie sich dahingehend, dass die Beteiligte Ziff. 4 versuche, die frühere Pflegemutter R. aus der Betreuung und dem Umgang mit F. herauszudrängen. Auch den Kontakt zur leiblichen Mutter unterstütze sie nicht uneingeschränkt und sorge nicht für eine unbelastete Übergabesituation. Die Umgangskontakte zur Kindsmutter seien lange von der früheren Pflegemutter R. begleitet worden. Die Kontakte zu dieser und der Kindsmutter seien für F. sehr wichtig. F' Wohl könne angesichts des Konfliktpotentials so nur bei Einschaltung einer neutralen Instanz gewahrt werden.

Das Jugendamt, das die Auswechselung von Rechtsanwältin H. als Vormund unter Hinweis darauf, dass F. quasi mit drei Müttern aufwachse, befürwortete, spricht sich ebenfalls für die Einsetzung eines - zwingend - neutralen und - sinnvollerweise - männlichen Vormundes aus. Es verweist insbesondere auf den Trennungskonflikt der Pflegemütte...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?