Entscheidungsstichwort (Thema)
gefälschter Impfpass. digitales Impfzertifikat. Vorlage in einer Apotheke. Sperrwirkung der §§ 277. 279 StGB a.F.
Leitsatz (amtlich)
Vorlagebeschluss: Entfalten die § 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung eine Sperrwirkung (priviligierende Spezialität), die bei Vorlage eines Impfausweises mit gefälschten Eintragungen über den Erhalt von Covid-19 Schutzimpfungen in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats einen Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB ausschließt und einer Verurteilung nach dieser Vorschrift entgegensteht
Normenkette
StGB §§ 267, 277, 279, 278; GVG § 121 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b)
Tenor
Dem Bundesgerichtshof wird gemäß § 121 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:
Entfalten die §§ 277 bis 279 StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung eine Sperrwirkung (priviligierende Spezialität), die bei Vorlage eines Impfausweises mit gefälschten Eintragungen über den Erhalt von Covid-19 Schutzimpfungen in einer Apotheke zur Erlangung eines digitalen Covid-19-Impfzertifikats einen Rückgriff auf § 267 Abs. 1 StGB ausschließt und einer Verurteilung nach dieser Vorschrift entgegensteht?
Gründe
I.
Das Amtsgericht L. hat den Angeklagten mit Urteil vom 08.02.2022 wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150,00 € verurteilt.
Zur Tat hat der Strafrichter folgende Feststellungen getroffen:
"Am 03.11.2021 gegen 16.30 Uhr legte der Angeklagte in derApotheke, H., der dortigen Mitarbeiterin B. einen auf ihn ausgestellten Impfpass vor, in dem zwei Schutzimpfungen gegen COVID-19 vom 10.06.2021 und 15.07.2021 durch das Zentrale Impfzentrum F. mit Stempel und Unterschrift vermerkt sind, um eine digitale Impfbestätigung zu erhalten. Diese Eintragungen stammten, wie er wusste, nicht vom Zentralen Impfzentrum F.. Die Zeugin B. erkannte die Fälschung und verständigte die Polizei. Durch die Vorlage des Dokuments wollte der Angeklagte gegenüber der Apotheke einen tatsächlich nicht bestehenden vollständigen COVID-19 Impfschutz vortäuschen, um mit Hilfe des digitalen Impfzertifikats weiter am öffentlichen Leben (Restaurants, öffentliche Veranstaltungen, Einkaufen etc.) teilhaben zu können.
Die Impfpassfälschung erhielt der Angeklagte von einer ihm nicht näher bekannten Person in einem Club in B.. Er bezahlte dafür 250 SFr. Er nahm das entsprechende Angebot an, weil er es ablehnt, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen, sich dadurch aber vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen fühlte."
Im Rahmen der Beweiswürdigung ist folgendes ausgeführt:
"...der vom zentralen Impfzentrum F. verwendete Stempel [enthalte] stets auch eine Namensangabe, was beim Impfausweis des Angeklagten nicht der Fall gewesen sei".
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision, die er mit der Sachrüge begründet und hierzu ausgeführt hat, dass das Amtsgericht die Sperrwirkung der §§ 277 ff. StGB in der bis zum 23. November 2021 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) gegenüber dem Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB verkannt habe. Der Angeklagte sei daher aus Rechtsgründen freizusprechen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat mit Schrift vom 20.04.2022 beantragt, die Revision des Angeklagten durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen. Das Urteil lasse keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Der Angeklagte hatte über seinen Verteidiger Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, hat sich aber nicht geäußert.
II.
Der Senat kann über die Revision des Angeklagten nicht entscheiden, ohne entweder von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle vom 31.05.2022 (OLG Celle, Urteil vom 31. Mai 2022 - 1 Ss 6/22 -, juris) oder von der Entscheidung des Bayrischen Obersten Landgerichts vom 03.06.2022 (BayObLG, Beschluss vom 03.06.2022 - 207 StRR 155/22 - BeckRS 2022, 13743) abzuweichen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1976 - 5 StR 240/76 -, BGHSt 26, 384-387).
Die vorgelegte Rechtsfrage ist auch entscheidungserheblich, weil über das Rechtsmittel des Angeklagten nicht unabhängig von der Beantwortung der Vorlagefrage entschieden werden kann.
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen den wegen einer Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB getroffenen Schuldspruch und beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung, die von dem Amtsgericht ausgehend von der geständigen Einlassung des Angeklagten gewissenhaft und lückenlos, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze vorgenommen wurde, wobei die Angaben des Angeklagten von den Aussagen des Ermittlungsbeamten bestätigt und ergänzt wurden.
III.
Der Senat sieht sich an der Verwerfung der Revision durch die Entscheidung des Bayrischen Obersten Landgerichts vom 03.06.2022 gehindert, weil dort die tragende Rechtsauffassung vertreten wird, dass die §§ 277 StGB a.F. eine Sperrwirkung (priviligierende ...