Leitsatz (amtlich)
1. Der Annahme einer Negativprognose i. S. d. § 81 g Abs. 1 StPO steht der Umstand nicht entgegen, dass dem Verurteilten sich auf eine günstige Sozialprognose gründende Strafaussetzung zu Bewährung bewilligt wurde.
2. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr bedarf es positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe, denen Aussagekraft für die Wahrscheinlichkeit künftiger Tatbegehung zukommt.
Tenor
Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts Y. vom 29. November 2000 aufgehoben. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, die Entnahme und molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen des Verurteilten anzuordnen, wird abgelehnt.
Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Verurteilten zu tragen.
Gründe
I.
Nachdem das Amtsgericht Y. mit Urteil vom 17. 04. 2000 den damaligen Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil seiner früheren Lebensgefährtin freigesprochen hatte, verurteilte ihn das Landgericht Y. am 09. 10. 2000 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Am 10. 10. 2000 legte der Angeklagte Revision gegen dieses Urteil ein. Am 25. 10. 2000 beantragte die Staatsanwaltschaft Y. , bei ihm die Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren richterlich anzuordnen. Nachdem sein Verteidiger zu diesem Antrag Stellung genommen hatte, ordnete das Landgericht Y. mit Beschluss vom 29. 11. 2000 die Entnahme von Körperzellen bei dem Angeklagten und deren molekulargenetische Untersuchung an. Gegen diesen Beschluss wandte sich dieser mit seiner am 06. 12. 2000 eingegangenen Beschwerde, die er mit am 04. 01. 2001 eingegangenem Anwaltsschriftsatz begründete. Am gleichen Tag nahm er die Revision gegen das Berufungsurteil des Landgerichts Y. zurück. Mit einem am 13. 02. 2001 eingegangenen Schriftsatz seines neuen Verteidigers hat er die Beschwerdebegründung weiter ergänzt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.
II.
Die Beschwerde ist gem. § 304 StPO zulässig und begründet. Das Landgericht Y. hat zu Unrecht die Entnahme von Körperzellen beim Beschwerdeführer und deren molekulargenetische Untersuchung angeordnet.
1. Das Landgericht Y. war als erkennendes Gericht zur Anordnung der beantragten Maßnahme gem. §§ 81 g Abs. 3, 81 a Abs. 2 StPO zuständig, da der Beschwerdeführer seine Revision gegen das landgerichtliche Urteil erst am 04. 01. 2001 und damit nach Erlass des beanstandeten Beschlusses zurücknahm. Bei Erlass des Beschlusses am 29. 11. 2000 war das Verfahren noch beim Landgericht als Berufungsgericht anhängig, da die Akten noch nicht dem Revisionsgericht vorgelegt worden waren.
2. Das Landgericht hat jedoch zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Entnahme von Körperzellen zum Zwecke der molekulargenetischen Untersuchung angenommen.
Gem. § 81 g Abs. 1 StPO dürfen dem Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens, eines Vergehens gegen die sexuelle Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls im besonders schweren Fall oder einer Erpressung verdächtig ist, Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Beschuldigten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer der vorgenannten Straftaten zu führen sind. Auch bei bereits rechtskräftig Verurteilten (den sogenannten Altfällen) können gem. § 2 DNA-IFG unter denselben Voraussetzungen Maßnahmen gem. § 81 g StPO angeordnet und durchgeführt werden, solange die entsprechende Eintragung im Bundeszentralregister noch nicht getilgt ist. Die Maßnahmen, deren verformelte Ergebnisse in der beim Bundeskriminalamt eingerichteten DNA-Analyse-Datei gesammelt werden, ermöglichen eine Identifizierung bereits bekannter Täter bei neuen Straftaten, sofern bei Tatbegehung Körperzellen abgesondert wurden, und dienen ebenfalls dem raschen Ausschluss unschuldiger Tatverdächtiger (vgl. BT-Drucks. 13/10791 S. 4 f). Es handelt sich um präventive Maßnahmen der Beweisbeschaffung zur Aufklärung künftiger Straftaten. Da mit diesen Maßnahmen in das durch Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 GG geschützte informationelle Selbstbestimmungsrecht des Beschuldigten bzw. Verurteilten eingegriffen wird, sind sie nur unter engen Voraussetzungen, mit denen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt wird, zulässig (vgl. BVerfG B. v. 14. 12. 2000, 2 BvR 1741/99 S. 13 ff).
a) Voraussetzung ist zunächst der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung bzw. die rechtskräftige Verurteilung wegen einer solchen, wobei auch bei Vorliegen einer sogenannten Katalogtat ...