Leitsatz (amtlich)

1. Bestehen im Verfahren auf Feststellung des Wegfalls des Ruhensgrundes nach § 1674 Abs. 2 BGB konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung bei Wiederaufleben der elterlichen Sorge, hat das Familiengericht ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten und die Feststellung des Wiederauflebens der elterlichen Sorge bis zu dessen Abschluss zurückstellen. Ist gemäß § 3 Nr. 2a RPflG der Rechtspfleger befasst, muss er auf die Einleitung des Verfahrens nach § 1666 BGB hinwirken und die Feststellung des Wiederauflebens der elterlichen Sorge bis zu dessen Abschluss oder der Ablehnung der Einleitung zurückstellen.

2. Hat das Amtsgericht trotz Vorliegens konkreter Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung durch Endbeschluss festgestellt, dass der Grund des Ruhens der elterlichen Sorge nicht mehr bestehe, so ist auf die dagegen erhobene Beschwerde des Jugendamts, welches zudem beim Amtsgericht die Entziehung der elterlichen Sorge gegenüber der Kindesmutter angeregt hat, nach § 64 Abs. 3 FamFG die Vollziehung des amtsgerichtlichen Beschlusses einstweilen auszusetzen.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1674 Abs. 2; FamFG § 64 Abs. 3; RPflG § 3 Nr. 2a, § 14 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

AG Pforzheim (Aktenzeichen 4 F 10/22)

 

Tenor

Die Vollziehung des Beschlusses des Amtsgerichts Pforzheim vom 22.03.2023, Az. 4 F 10/22, wird ausgesetzt.

 

Gründe

I. Das Kind L. St., geboren am ..., ist aus der nichtehelichen Beziehung zwischen der Beteiligten z. 2 (nachfolgend auch Kindesmutter) und Herrn M. K. hervorgegangen. Die Kindesmutter war zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig. Eine gemeinsame Sorgeerklärung wurde nicht abgegeben. L. wurde im Alter von acht Monaten mit Zustimmung ihrer Mutter im Rahmen einer Hilfe zur Erziehung dauerhaft in der Pflegefamilie St. untergebracht. Ebenfalls mit Zustimmung der Kindesmutter bzw. auf ihren Antrag vom 29.02.2012 hat L. den Familiennamen ihrer Pflegeeltern übernommen.

Die Kindesmutter hat in der Vergangenheit wiederholt ihren Wohnsitz gewechselt. Gleichwohl war es den Pflegeeltern und dem örtlich zuständigen Jugendamt bis Mitte 2019 möglich, mit ihr in Kontakt zu bleiben, um Angelegenheiten, die L. betreffen, mit ihr zu besprechen.

Ab Anfang 2020 war die Kindesmutter nicht mehr erreichbar, weshalb das Jugendamt bei dem Amtsgericht Kandel am 13.01.2020 beantragt hat, im Wege der einstweiligen Anordnung die Zustimmung der Kindesmutter zur Vorstellung, Aufnahme und Unterbringung des Kindes in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie zur Entbindung von der Schweigepflicht der behandelnden Ärzte zu ersetzen. Das Amtsgericht Kandel hat mit Beschluss vom 22.01.2020 (Az. 1 F 10/20 eA) im Wege der einstweiligen Anordnung das Ruhen der elterlichen Sorge der Kindesmutter festgestellt und zur Begründung ausgeführt, dass der tatsächliche Aufenthalt der Kindesmutter derzeit nicht zu ermitteln und sie auch telefonisch bereits seit mehreren Monaten für das Jugendamt nicht zu erreichen sei. Im selben Beschluss wurde Vormundschaft angeordnet und das Jugendamt der Kreisverwaltung Germersheim zum Vormund bestellt.

Mit Schreiben vom 05.01.2022 hat die Kindesmutter beim Amtsgericht Pforzheim die Überprüfung der am 22.01.2020 ergangenen Entscheidung beantragt. Sie hat vorgetragen, an der Ausübung der elterlichen Sorge nicht mehr gehindert zu sein. Sie wolle gerne wieder ihren Elternpflichten nachkommen.

Das Jugendamt hat am 28.03.2022 schriftlich berichtet und ist dem Antrag der Kindesmutter entgegengetreten. Zwischen L. und ihrer Mutter bestehe seit 2017 kein persönlicher Kontakt mehr. Das Jugendamt könne vor diesem Hintergrund auch nicht prüfen, ob die Kindesmutter tatsächlich in der Lage sei, die Erziehungsverantwortung für ihre Tochter zu übernehmen und den gesteigerten Anforderungen im Hinblick auf die - in dem Bericht beschriebene problematische Entwicklung des Kindes mit Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie zuletzt in einer Jugendhilfeeinrichtung im Rahmen der geschlossenen Unterbringung - gerecht werden könne. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bericht vom 28.03.2001 20 (As. I/31 ff.) Bezug genommen.

Der Vormund hat am 16.02.2022 (As. I/15) und 05.04.2022 (As. I/37) schriftlich berichtet. Er hat sich im Ergebnis der Einschätzung des Jugendamtes angeschlossen und ergänzend vorgetragen, dass L. selbst die Rückübertragung der elterlichen Sorge auf ihre Mutter nicht wünsche.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 22.03.2023 - nachdem das Verfahren nach Aktenlage zunächst über einen Zeitraum von einem Jahr nicht weiterbetrieben worden ist - festgestellt, dass der Grund des Ruhens der elterlichen Sorge nicht mehr bestehe. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, die Kindesmutter habe dem Jugendamt und dem Familiengericht ihre Anschrift sowie ihre telefonischen Kontaktdaten mitgeteilt. Dementsprechend sei die andauernde tatsächliche Verhinderung der Kindesmutter weggefallen mit der Folge, dass gemäß § 1674 Abs. 2 BGB das Wiederaufleben der elterlichen Sorge zwingend fes...

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