Leitsatz (amtlich)
1. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur dann die Rede sein, wenn ein Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Endentscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der die unterlegene Partei nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Ein Überraschungsurteil liegt insbesondere vor, wenn die das angefochtene Urteil tragende Erwägung im gerichtlichen Verfahren niemals erkennbar thematisiert worden war.
2. An die Sorgfalt bei der Sicherung eines Kfz-Bootstrailer-Gespanns an einer Slipanlage (hier: Wässerungsrampe mit bis zu 15 % Gefälle) gegen Wegrollen sind hohe Anforderungen zu stellen, zumal je nach Verlauf, Strömung und Wellengang verschiedene, im Einzelnen nicht vorhersehbare Kräfte einwirken, die über die Vertäuung am Trailer auch auf das Gespann übertragen werden können.
Normenkette
BGB § 254; StVO § 14 Abs. 2 S. 1; ZPO § 139 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 09.11.2007; Aktenzeichen 5 O 508/05) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Karlsruhe vom 9.11.2007 - 5 O 508/05 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Beifahrerin auf Schadensersatz wegen der Beschädigung eines Kraftfahrzeugs in Anspruch, das mitsamt einem Trailer und dem darauf befindlichen Schlauchboot rückwärts in einer Slipanlage in den Rhein rollte.
Eine Slipanlage ist eine schräge Ebene, auf der Boote vom Land in das Wasser gelassen werden können. Dazu fährt man mit einem Kraftfahrzeug-Anhänger - dem Trailer - (oder auch mit einem speziellen Slipwagen) rückwärts in das Wasser, bis das auf dem Anhänger befindliche Wasserfahrzeug aufschwimmt, aus seiner Befestigung entfernt und der leere Anhänger wieder aus dem Wasser gezogen werden kann.
Am 1.6.2003 wollte der Geschäftsführer der Klägerin auf einer Slipanlage im Pionierhafen in Karlsruhe-Maxau ein auf einem Trailer befindliches Schlauchboot zu Wasser lassen. Zu diesem Zweck fuhr er mit dem Zugfahrzeug der Klägerin vom Typ Mercedes Vito den Trailer rückwärts die dort befindliche Rampe hinunter, bis der Trailer so weit im Wasser stand, dass das Boot zu Wasser gelassen werden konnte. Beifahrerin war die Beklagte. Der Geschäftsführer stellte das Gespann ab und ging ins Wasser, um das Boot vom Hänger frei zu machen. Unter Umständen, die zwischen den Parteien streitig sind, setzte sich das Gespann rückwärts in Bewegung und rollte ins Wasser, wo das Zugfahrzeug durch die Einwirkung des Wassers erheblich beschädigt wurde.
Die Klägerin hat behauptet, das Gespann sei deshalb ins Wasser gerollt, weil die Beklagte, die sich eine Zigarette habe anzünden wollen, mit der Verschnürung des Ärmels ihrer Bluse am Schalthebel des Fahrzeugs hängen geblieben sei und dadurch den eingelegten Gang gelöst habe. Die Klägerin ist der Auffassung, dies führe zu einer vollen Haftung der Beklagten für den eingetretenen Schaden. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten hat 50 % des eingetretenen Schadens (5.863 EUR) reguliert. Gegenstand der Klage sind die weiteren 50 % des Schadens.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.863 EUR nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 4.5.2005 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat bestritten, den Gang des Fahrzeugs gelöst zu haben. Dies sei nur unter erheblichem Kraftaufwand möglich. Jedenfalls liege ein Mitverschulden der Klägerin i.H.v. mindestens 50 % vor.
Das LG hat Beweis erhoben durch Erhebung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr.-Ing. K., der sein Gutachten schriftlich ergänzt mündlich erläutert hat.
Mit Urteil vom 9.11.2007, auf dessen Gründe wegen der Feststellungen und der sonstigen Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das LG die Klage abgewiesen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor:
Es handele sich um ein "Überraschungsurteil". Das LG postuliere einen Sorgfaltsanspruch zu Lasten der Klägerin, den die Rechtsordnung in dieser Weise nicht kenne.
Die Klägerin gehe allerdings mit dem LG davon aus, dass ihr Geschäftsführer zunächst die Feststellbremse angezogen und sodann einen Gang eingelegt habe. Die Sorgfaltspflicht habe nicht geboten, zuerst einen Gang einzulegen und danach die Feststellbremse anzuziehen.
Jedenfalls könne ein etwaiges Mitverschulden nicht mit 50 % sondern müsse deutlich geringer bewertet werden.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des LGurteils die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.863 EUR nebst 5 % Zinsen hieraus seit dem 4.5.2005 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, verteidigt das LGurteil, wendet sich gegen dessen Einschätzung als "Überraschungsurteil" und trägt...