Leitsatz (amtlich)
Ein schlichtes Übersehen des Gegenverkehrs ohne besonderen äußeren Grund deutet gerade darauf hin, dass der Fahrer die beim Überholen gebotene Aufmerksamkeit in besonders hohem Maße verletzt hat.
Verfahrensgang
LG Mosbach (Urteil vom 26.11.2003; Aktenzeichen 2 O 191/03) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Mosbach vom 26.11.2003 – 2 O 191/03 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger verlangt Leistungen aus einem Kfz-Vollkasko-Versicherungsvertrag. Er befuhr am 3.12.2002 gegen 7.30 h mit seinem bei dem Beklagten versicherten Pkw die L 532 von A. in Richtung W. Er überholte zunächst mehrere Fahrzeuge einer vor ihm befindlichen Kolonne und scherte vor einem Rettungsfahrzeug rechts ein, da ein Fahrzeug entgegen kam. Nachdem das Fahrzeug vorbei war, scherte der Kläger unmittelbar vor oder in einer Rechtskurve wieder aus und setzte dazu an, den vor ihm fahrenden Kleinbus zu überholen. Dabei kam es zur Kollision mit einem entgegen kommenden Fahrzeug.
Das LG, auf dessen Urteil wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen verwiesen wird, hat die auf den Ausgleich eines Eigenschadens von 7.800 Euro nebst Zinsen gerichtete Zahlungsklage abgewiesen. Seiner Ansicht nach beruft der Beklagte sich zu Recht auf Leistungsfreiheit gem. § 61 VVG, weil der Kläger den Unfall grob fahrlässig verursacht habe. Er sei quasi „blind” auf die Gegenfahrbahn ausgeschert und habe zum Überholen angesetzt, ohne dass ihm irgendwelche Bedenken gegen seine Fahrweise aufgekommen seien. Dass es sich hierbei nicht um ein Augenblicksversagen gehandelt habe, sondern um einen besonders schweren Verkehrsverstoss, werde dadurch deutlich, dass der Kläger unbestritten zuvor als „Lückenspringer” andere Fahrzeuge überholt gehabt habe.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Dabei greift er in erster Linie die Würdigung des mündlichen Gutachtens des erstinstanzlich vernommenen Sachverständigen H. an.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akten des Strafverfahrens beim AG S 11 Cs 52 Js 23795/02 – AK 2/03 waren beigezogen und Gegenstand der Verhandlung.
II. Die Berufung hat keinen Erfolg. Das LG hält den Beklagten zu Recht gem. § 61 VVG für leistungsfrei, weil der Kläger den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat.
1. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dabei muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH v. 29.1.2003 – IV ZR 173/01, MDR 2003, 505 = BGHReport 2003, 428 = VersR 2003, 364, unter II 2; v. 18.12.1996 – IV ZR 321/95, MDR 1997, 348 = VersR 1997, 351, unter II 2c). Diese Begriffsbestimmung berücksichtigt den Grundgedanken des § 61 VVG. Danach soll der Versicherungsnehmer, der sich in Bezug auf das versicherte Interesse völlig sorglos oder sogar unlauter verhält, keine unverdiente Vergünstigung erhalten. So hat § 61 VVG ähnlich wie § 162 BGB den Gedanken von Treu und Glauben übernommen (BGH v. 18.12.1996 – IV ZR 321/95, MDR 1997, 348 = VersR 1997, 351, unter II 2c).
Die Darlegungs- und Beweislast auch für die subjektive Seite des Schuldvorwurfs trägt der Versicherer, der sich auf Leistungsfreiheit gem. § 61 VVG beruft. Dabei ist weder aus einem objektiv groben Pflichtverstoß regelhaft die subjektive Unentschuldbarkeit herzuleiten noch sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises anwendbar (BGH v. 29.1.2003 – IV ZR 173/01, MDR 2003, 505 = BGHReport 2003, 428 = VersR 2003, 364, unter II 4a, m.w.N.). Allerdings kann nach ständiger Rspr. des BGH vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGH v. 29.1.2003 – IV ZR 173/01, MDR 2003, 505 = BGHReport 2003, 428 = VersR 2003, 364, unter II 4a; v. 8.7.1992 – IV ZR 223/91, BGHZ 119, 147 [151] = MDR 1992, 945). Es ist Sache des Versicherungsnehmers, ihn entlastende Tatsachen vorzutragen, da allein er und nicht der außerhalb des Geschehensablaufes stehende Versicherer diese maßgebenden Tatsachen kennen kann (BGH v. 8.7.1992 – IV ZR 223/91, BGHZ 119, 147 [151] = MDR 1992, 945).
2. Ein in objektiver Hinsicht grob verkehrswidriges unfallursächliches Verhalten des Klägers liegt vor. Der Kläger wechselte auf die linke Fahrspur, obwohl er in diesem Moment nach den überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen H wegen des in der Rechtskurve vorausfahrenden und wesentlich höheren Fahrzeugs, eines Transporters …, keine ausreichende Sicht nach vorne hatte, sich v...