Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbvertrag: Abgrenzung von vertraglichen und einseitigen Verfügungen
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für die Annahme eines Erbvertrages ist, dass er zumindest eine vertragliche Verfügung enthält. Ob eine Erbeinsetzung vertragsmäßig oder einseitig getroffen wurde, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. (Rn. 48)
2. Bei der Frage, ob die einen Dritten begünstigende Verfügung im Erbvertrag vertragsmäßig oder einseitig getroffen worden ist, muss auf das Interesse der Vertragschließenden an dem Bestand dieser Verfügung abgestellt werden. (Rn. 52)
3. Entscheidend für eine etwaige Bindungswirkung der Verfügung ist das persönliche Näheverhältnis zwischen dem Zuwendungsbegünstigten und dem Vertragsgegner des Erblassers. (Rn. 52)
4. An den Begriff des persönlichen Näheverhältnisses sind strenge Anforderungen zu stellen, um den Anwendungsbereich des § 2270 Abs. 2 BGB nicht ausufern zu lassen. Deshalb fallen nur solche Personen unter den Begriff, zu denen der betroffene Ehegatte enge persönliche und innere Bindungen gehabt hat, die mindestens dem üblichen Verhältnis zu nahen Verwandten entsprechen. (Rn. 53)
5. Ob ein Näheverhältnis vorliegt, beurteilt sich zu dem Zeitpunkt, in welchem die letztwillige Verfügung errichtet wird. (Rn. 55)
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 2270 Abs. 2, § 2278 Abs. 1 aF, § 2287 Abs. 1, § 2299 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 18.10.2019; Aktenzeichen 10 O 34/12) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim - 10 O 34/12 - vom 18. Oktober 2019 im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Auf die Widerklage des Beklagten hin wird festgestellt, dass die Klägerin Erbin (erst) aufgrund der letztwilligen Verfügung des Erblassers G. G. vom 23.06.2008 geworden ist und nicht (schon) aufgrund des Erbvertrages vom 07.02.1977, beurkundet durch das Notariat M., durch Herrn Notar P..
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung im Kostenpunkt durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Gestützt auf ihre Einschätzung, sie sei (bereits) als Vertragserbe alleinige Rechtsnachfolgerin ihres am 17. August 2011 verstorbenen Vaters G. G. (nachfolgend nur: "der Erblasser") geworden, nimmt die aus der ersten Ehe des Erblassers hervorgegangene Klägerin den Beklagten - dabei handelt es sich um ihren Halbbruder, welcher aus der dritten Ehe des Erblassers stammt - in erster Linie auf Herausgabe sowie dingliche Übertragung von zwei in der erstinstanzlichen Entscheidung näher bezeichneten Eigentumswohnungen (Nr. 1 sowie Nr. 4) in Anspruch. Hilfsweise hat sie im ersten Rechtszug (ausschließlich) ein Zahlungsbegehren geltend gemacht, wobei sie dieses (der Höhe nach in begrenztem Umfang) auch auf eine schenkungsbedingte Schmälerung ihres Pflichtteils gegründet hat, während sie in der Berufungsverhandlung nach einem entsprechenden Hinweis des Senats insoweit eine Verurteilung des Beklagten zur Duldung der Zwangsvollstreckung anstrebt. Mit der von ihm erhobenen Widerklage will der Beklagte festgestellt wissen, dass die Klägerin nicht aufgrund des betreffenden Erbvertrages, aus welchem sie ihre Rechtsstellung herzuleiten sucht, alleinige Erbin des Erblassers geworden ist, sondern erst aufgrund einer später errichteten letztwilligen Verfügung desselben.
In der Hauptsache hat das Landgericht dem vornehmlich geltend gemachten Herausgabeverlangen hinsichtlich der Eigentumswohnung Nr. 4 unter einer Zug-um-Zug-Einschränkung stattgegeben, während es die weitergehende Klage ebenso abgewiesen hat wie die Widerklage. Wegen der tatsächlichen Feststellungen, des streitigen Vorbringens der Parteien, der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der Entscheidungsgründe wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Berufung beider Parteien, welche jeweils unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung grundsätzlich ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgen, sieht man von der oben bereits erwähnten Ausnahme des von der Klägerin nunmehr hilfsweise partiell geltend gemachten Duldungsbegehrens ab.
Zur Begründung seiner Berufung hat der Beklagte im Wesentlichen ausgeführt:
Entgegen der Einschätzung des erstinstanzlichen Gerichts sei in dem Erbvertrag vom 7. Februar 1977, welchen der Erblasser mit seiner zweiten Ehefrau geschlossen habe (im Weiteren nur: "der gegenständliche Erbvertrag"), keine vertragsmäßige Erbeinsetzung der Klägerin erfolgt. Dies ergebe sich vor allem aus dem Inhalt der zwischen diesen Beteiligten getroffenen Scheidungsfolgenvereinbarung vom 3. Februar 1977 (nachfolgend nur: "die Scheidungsfolgenvereinbarung"), welche am gleichen Tag wie die Errich...