Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsmäßige Bindung
Leitsatz (amtlich)
1. Behalten Eheleute in einem Erbvertrag, in dem sie Kinder vertragsmäßig als Schlusserben einsetzen, dem Überlebenden vor, den Nachlass unter den eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen zu verteilen, so ist schon die Anordnung eines Vorausvermächtnisses über den gesamten Nachlass zugunsten der Kinder regelmäßig nicht gedeckt.
2. Zur analogen Anwendung von § 2085 BGB auf eine derartige Vermächtnisanordnung.
Leitsatz (redaktionell)
1. Aus dem Umstand, dass eine Verfügung in einem Erbvertrag enthalten ist, folgt noch nicht ihre Vertragsmäßigkeit. Enthält der Erbvertrag aber darüber hinaus ausdrücklich Bestimmungen, wonach Schlusserben mit bestimmten Einschränkungen „im Wege des Erbvertrages” oder bindend eingesetzt werden, so ergibt sich angesichts der Klarheit und Eindeutigkeit des Urkundeninhalts als dessen nächstliegende Bedeutung deren Vertragsmäßigkeit.
2. Bedenken gegen die Gültigkeit erbvertragliche Änderungsvorbehalte werden allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer wesensfremden Aushöhlung des Erbvertrages geltend gemacht. Es genügt aber, wenn der Änderungsvorbehalt kein totaler ist, sondern mindestens eine bindende letztwillige Verfügung genügt z. B. die gegenseitige Einsetzung der Erbvertragsparteien.
Normenkette
BGB § 2270 Abs. 2, §§ 2276, 2278, 2289
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Urteil vom 31.01.2002; Aktenzeichen 3 O 1325/01) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 31. Januar 2002 teilweise
abgeändert
und wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass die Klägerin Erbin nach ihrer Mutter AM H. zu ½ des Nachlasses ist.
- Es wird festgestellt, dass die Anordnung des Vorausvermächtnisses zugunsten des Beklagten im Testament der AM H. vom 9. Februar 2000 (Urkunden-Rolle II 198/2000, Notariat Ravensburg) insoweit unwirksam ist, als dem Beklagten darin mehr als das gesamte Kapitalvermögen der Erblasserin im Zeitpunkt des Erbfalls zugewandt worden ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen haben die Klägerin 1/15 und der Beklagte 14/15 zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Klägerin und Beklagter können die gegen sie gerichtete Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweils andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu voltstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 115.040,67 EUR
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erbfolge nach ihrer Mutter, Frau AM H., die am 3. April 2001 starb.
Die Parteien sind Halbgeschwister. Die Klägerin wurde vor der Ehe der Erblasserin mit Herrn H H. geboren. Der Beklagte entstammt dieser Ehe.
Die Eheleute H. schlossen am 13.08.1963 einen Ehe- und Erbvertrag, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und Nacherben für den Fall der Wiederverheiratung des Überlebenden bestimmten.
Am 19.04.1982 ließen die Eheleute einen Nachtrag zu dem Erbvertrag von 1963 notariell beurkunden. Darin setzte der Überlebende der Eheleute den Beklagten und die Klägerin je zur Hälfte als Erben ein. Weiterhin bestimmten sie:
„4. Wir wünschen, dass keines der Kinder beim Tod des zuerst Sterbenden von uns Pflichtteilsansprüche gegen den Überlebenden geltend macht. Sollte das dennoch der Fall sein, so ist der Überlebende berechtigt, diesen Abkömmling von der Erbfolge auszuschließen. Über diesen Erbteil kann der Überlebende dann frei verfügen.
Sollte der Überlebende wieder heiraten, so ist er ebenfalls berechtigt, über seinen Nachlass frei zu verfügen.
Im Übrigen darf der Überlebende lediglich den Nachlass unter den als Schlusserben eingesetzten Kindern durch Vorausvermächtnisse und Teilungsanordnungen verteilen.
5. Ein einseitiges Rücktrittsrecht von den vorstehenden erbvertraglichen Bestimmungen wird nicht vorbehalten.”
Nachdem Herr H H. am 08.03.1986 gestorben war, ließ die Erblasserin am 09.02.2000 ein Testament notariell beurkunden. Darin berief sie nunmehr den Beklagten zu ihrem Alleinerben. Ergänzend bestimmte sie (§ 2 des Testamentes, letzter Absatz):
„Notfalls (ersatzweise) wende ich meinem Sohn meinen gesamten Nachlass als Vorausvermächtnis im Sinne des Nachtrags vom 19. April 1982 zu, insbesondere das Wohnhausgrundstück in R., … weg, und mein gesamtes Kapitalvermögen (Bargeld, Bankguthaben, Wertpapiere, evtl. Aktien u.ä.) jeweils im Zeitpunkt des Erbfalls.”
Das Wohnhausgrundstück … weg machte fast den gesamten Wert des Vermögens der Erblasserin aus. Daneben bestand im Zeitpunkt ihres Todes noch ein Kapitalvermögen von etwa 30.000,– DM.
Die Klägerin ist der Auffassung, beide Anordnungen im Testament vom 09.02.2000 seien unwirksam.
Sie hat beantragt,
- es wird festgestellt: Die Klägerin ist Erbin nach ihrer Mutter AM H. zu ½ des Nachlasses.
- die Anordnung des Vo...