Leitsatz (amtlich)
1. Gewalt im Sinne des § 240 StGB übt im Rahmen einer Blockadeaktion nur derjenige aus, der durch eine körperliche Kraftentfaltung einen körperlich wirkenden Zwang auf sein Opfer ausübt. An einer solchen körperlichen Zwangswirkung fehlt es, wenn der Täter über seinen eigenen Körper hinaus kein physisch wirkendes Hindernis schafft, sondern sich jederzeit selbst durch einfaches Loslassen befreien kann (hier: Rohrkonstruktion mit Seilschlaufe).
2. Eine zurechenbare, die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Sachbeschädigung erfüllende Substanzverletzung kann bei einer Blockadeaktion vorliegen, wenn der Gleiskörper zur Ermöglichung der Durchfahrt eines Zuges durchtrennt und zeitweise entfernt werden muss.
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Entscheidung vom 08.10.2012; Aktenzeichen 11 Ns 570 Js 15270/11) |
Tenor
- Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 08. Oktober 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Karlsruhe verurteilte die Angeklagte am 20.12.2011 wegen gemeinschaftlicher versuchter Nötigung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Sachbeschädigung zu der Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je XX Euro. Auf die Berufung der Angeklagten änderte das Landgericht Karlsruhe dieses Urteil am 08.10.2012 ab und verurteilte die Angeklagte unter Verwerfung ihrer Berufung im Übrigen wegen Sachbeschädigung zu der Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je XX €. Die ebenfalls eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft verwarf das Landgericht als unbegründet.
Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen fand in der Nacht vom 15.02.2011 auf den 16.02.2011 durch Bahnverkehr ein Transport von fünf Spezialbehältern mit in sog. "High Active Waste (HAW) - Glaskokillen" befindlichem radioaktivem Material - sog. Castoren - vom Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), ehemals Forschungszentrum Karlsruhe, in Eggenstein-Leopoldshafen in das atomare Zwischenlager Nord bei Lubmin statt. Ungeachtet eines von der zuständigen Behörde für die Zeit vom 15.02.2011, 00.00 Uhr, bis 16.02.2011, 24.00 Uhr, ausgesprochenen, für die Bahngleise sowie den Bereich von 50 m beidseitig der Gleisanlage der Transportstrecke im Stadt- und Landkreis Karlsruhe geltenden Versammlungsverbots begab sich die Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 15.02.2011 mit weiteren Aktivisten auf das Gelände des KIT, um durch Teilnahme an einer XXX-Aktion den Transport der Castoren möglichst öffentlichkeits- und medienwirksam zu verzögern. In Verfolgung dieses Zieles kettete sie sich mit weiteren neun Personen in dem auf dem Gelände des KIT liegenden Gleisbereich an die Schienen, über welche der Castor-Transport mittels eines Zuges geführt werden sollte, und zwar unter Einhaltung eines Abstandes von jeweils fünf bis zehn Metern zu den anderen Personen. Hierzu benutzten sie und die anderen Aktivisten jeweils vorgefertigte, rechtwinklig V-förmig zusammengeschweißte Rohre mit einer Schenkellänge von etwa 30 Zentimetern, welche nach entsprechend zuvor vorgenommener Unterhöhlung zunächst unter dem Gleisbett hindurchgeführt wurden. Danach führte die Angeklagte - ebenso wie auch die anderen Demonstranten - ihre Hände und Unterarme in die beiden jeweiligen Rohröffnungen ein und sicherte diese mit einer von außen nicht lösbaren Seilschlaufe, indem sie diese im Innern des Rohres festhielt. Aufgrund dieser besonderen Konstruktion wäre es ihr jedoch jederzeit möglich gewesen, sich im Notfall durch Loslassen der Seilschlaufe selbst zu befreien. Um den Weg für den Schienenverkehr wieder frei zu machen und das Losfahren des Zuges mit den Castoren vom Gelände des KIT zu ermöglichen, war es zunächst notwendig, die Schienen in dem Bereich, in dem sich die Angeklagte und die weiteren Personen angekettet hatten, von den Schwellen zu lösen, den Schienenstrang durchzutrennen und die Angeklagte und die anderen Aktivisten "auszufädeln". Erst nach Wiedereinfügen der jeweiligen Teilstücke der Schienen und deren zunächst behelfsmäßiger Befestigung war dem Castor-Transport ein Losfahren vom Gelände des KIT möglich. Aufgrund der Blockadeaktion entstand ein Reparaturschaden von insgesamt ca. 5.700 Euro.
Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass das Landgericht die Angeklagte nicht auch wegen tateinheitlich begangener versuchter Nötigung verurteilt hat.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat - vorläufigen - Erfolg und führt - auch bezüglich der Verurteilung wegen Sachbeschädigung - zur vollständigen Aufhebung des Urteils.
1. Im Ergebnis zu Recht weist die Revision darauf hin, dass die vom Landgericht getroffenen Feststellungen trotz ihrer im folgenden noch darzustellenden Lücken und Unklarheiten grundsätzlich geeignet sein können, eine Verurteilung wegen versuchter Nötigung nach §§ 240 Abs.1, Abs.3