Leitsatz (amtlich)
1. Es ist zur schlüssigen Darlegung eines Verbotsirrtums eines Fahrzeugherstellers in Hinblick auf die Zulässigkeit eines Emissionskontrollsystems nicht stets erforderlich, hinsichtlich der Organe, der maßgeblichen Entscheidungsträger sowie der Entscheidungsprozesse personenbezogen und unter Vorlage von Vorstandsprotokollen oder -beschlüssen vorzutragen, welche Überlegungen zur Zulässigkeit der eingesetzten Technik angestellt worden sind, wenn sich dem Vortrag des sich auf einen Verbotsirrtum berufenden Schädigers entnehmen lässt, dass alle mit den Fragen der Zulässigkeit des Emissionskontrollsystems befassten Personen von der Rechtmäßigkeit einer im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen und keine Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass einem unvermeidbaren Verbotsirrtum entgegenstehende Umstände bekannt waren (Anschluss an OLG Stuttgart, Urteile vom 28.09.2023 - 24 U 2504/22 und vom 19.10.2023 - 24 U 103/22).
2. Solange die zuständige Typgenehmigungsbehörde in Kenntnis der aus ihrer Sicht zur Beurteilung der Frage der Zulässigkeit des Emissionskontrollsystems relevanten Einzelheiten und nach umfangreichen Untersuchungen keinerlei Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer bestimmten Funktion hat und eine diese Sichtweise in Frage stellende, entgegenstehende Rechtsprechung nicht existiert, liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Fahrzeughersteller nicht darauf vertraut, sich im Rahmen des gesetzlich Zulässigen zu bewegen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 26.02.2021; Aktenzeichen 14 O 339/20) |
Tenor
1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 26.02.2021, Az. 14 O 339/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 23.770,58 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz nach dem Erwerb eines Fahrzeugs, dessen Herstellerin die Beklagte ist, im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal.
Die Klagepartei erwarb am 14.03.2017 von einem am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten einen gebrauchten VW Passat 2.0 TDI mit einer Laufleistung von 17.815 km zum Preis von 25.700 EUR. Die Erstzulassung des Fahrzeugs datiert auf den 27.03.2015. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 288, Euro 6 sowie einem Stickstoffoxid-Speicherkatalysator (im Folgenden: NSK) ausgestattet. Die Klagepartei finanzierte das Fahrzeug mittels eines Darlehens.
Am 25.01.2021 betrug der Kilometerstand 40.774 km.
Der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor des Typs EA 288 (Euro 6) ist das Nachfolgemodell des Motors Typ EA 189, der im Jahr 2015 den sogenannten "Diesel-Abgasskandal" auslöste, weil er mit einer Software ausgerüstet worden war, die erkannte, ob sich der Pkw im Prüfstand- oder im Realbetrieb befand und im Prüfstandbetrieb die Stickstoffoxide in den ausgestoßenen Abgasen reduzierte ("Umschaltlogik"). Dies führte in der Folge zu verbindlichen Rückrufbescheiden durch das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) wegen des (nach Auffassung des KBA) Vorliegens unzulässiger Abschalteinrichtungen.
Für das streitgegenständliche Fahrzeug hat das KBA keinen verbindlichen Rückrufbescheid erlassen. Gleiches gilt für sämtliche Fahrzeuge, die mit einem Motor des Typs EA 288 ausgestattet sind, mit Ausnahme einer vom KBA "überwachten Aktion" von bestimmten Fahrzeugen des Typs VW T 6 wegen einer "Konformitätsabweichung".
Der streitgegenständliche Motor enthält ein sog. Thermofenster, das heißt die Abgasrückführung findet in einem (streitigen) Temperaturbereich in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur statt.
In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist eine prüfstandsbezogene Fahrkurvenerkennung hinterlegt. NSK-Fahrzeuge der Beklagten verwenden als Abgasnachbehandlungssystem einen Stickstoffoxid-Speicher-Katalysator. Auf diesem werden die Stickstoffoxide während des Fahrbetriebs zunächst in einem Speicher eingelagert, was eine regelmäßige Regeneration erfordert. Die NSK-Regeneration im realen Straßenbetrieb erfolgte strecken- und beladungsbezogen ca. alle fünf Kilometer bzw. bezogen auf den Beladungszustand, je nachdem welches Ergebnis vorher eintrat. Um zu gewährleisten, dass der elf Kilometer lange NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) mit einem (fast) leeren NSK durchfahren wurde, war mit der Fahrkurvenerkennung eine allein streckengesteuerte Regeneration des NSK verbunden. Sie bewirkte, dass der NSK am Ende der einem NEFZ vorgeschalteten Vorkonditionierungsfahrt (sog. "Precon") vollständig und innerhalb des NEFZ nur zwei Mal (jeweils nach fünf Kilometern) regeneriert wurde.
Dem KBA ist seit Oktober 2015 bekannt, dass Fahrzeuge mit E...