Entscheidungsstichwort (Thema)
Gutachten zum Arbeitsmarkt in der Erwerbsunfähigkeitsversicherung
Leitsatz (amtlich)
Kommt es bei einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung nach den Versicherungsbedingungen darauf an, in welchem Umfang der Versicherungsnehmer trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch Tätigkeiten ausüben kann, "die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich sind", reicht die Einholung medizinischer Gutachten zur Klärung der Voraussetzungen eines Rentenanspruchs unter Umständen nicht aus. Vielmehr ist ggfs. ein ergänzendes Gutachten zu den Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt erforderlich, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich Tätigkeiten gibt, die ein spezielles - niedriges - gesundheitliches Anforderungsprofil aufweisen, so dass für den Versicherungsnehmer leidensgerechte berufliche Tätigkeiten trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch möglich wären.
Verfahrensgang
LG Konstanz (Aktenzeichen Me 4 O 368/14) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 20.09.2016 - Me 4 O 368/14 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 39.325,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 12.12.2014 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger ab dem 01.12.2014 eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.573,12 EUR während der Dauer der bedingungsgemäßen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen, längstens bis zum 01.09.2022.
3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.348,94 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2014 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt die Beklagte.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann eine Vollstreckung des Klägers abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Erwerbsunfähigkeits-Versicherung geltend.
Der am 30.04.1962 geborene Kläger schloss im Jahr 2002 mit der Klägerin einen Lebensversicherungsvertrag ab. Vereinbart war eine monatliche Altersrente ab dem 01.09.2025. Zum Vertrag gehörte eine Erwerbsunfähigkeits-Zusatzversicherung, auf Grund derer der Kläger im Falle einer Erwerbsunfähigkeit eine Rente bis längstens zum 01.09.2022 beziehen sollte. Die Erwerbsunfähigkeits-Rente betrug zunächst 1.113,36 EUR monatlich. Auf Grund einer Dynamik-Klausel betrug die Rente im Jahr 2012 unstreitig monatlich 1.573,12 EUR (vgl. die Anlage K 7).
Die Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeitsrente sollten sich nach den Bedingungen für die Zusatzversicherung gegen Erwerbsunfähigkeit (Anlage K 1, im Folgenden abgekürzt: BZE) richten. Ziffer 2.1 BZE lautet:
Erwerbsunfähigkeit auf Grund stark eingeschränkter Leistungsfähigkeit
Erwerbsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person in Folge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind,
- voraussichtlich dauernd außer Stande ist, einer Erwerbstätigkeit von mehr zwei Stunden täglich nachzugehen
oder
- sechs Monate ununterbrochen außer Stande gewesen ist, einer Erwerbstätigkeit von mehr als zwei Stunden täglich nachzugehen und dieser Zustand fortdauert. In diesem Fall liegt die Erwerbsunfähigkeit von Anfang an vor, d. h. rückwirkend ab Beginn dieser sechs Monate.
Als Erwerbstätigkeit gelten alle selbstständigen und unselbstständigen Tätigkeiten, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich sind. Der zuletzt ausgeübte Beruf, die erworbene Ausbildung und Erfahrung, die bisherige Lebensstellung, insbesondere das bisherige Einkommen, und die jeweilige Arbeitsmarktlage bleiben unberücksichtigt.
Nicht als Erwerbstätigkeit gelten Tätigkeiten, die Behinderte in eigens dafür eingerichteten Werkstätten oder Heimen ausführen.
Der Bescheid eines Sozialversicherungsträgers bewirkt noch keinen Leistungsanspruch.
Der Kläger besitzt eine kaufmännische Ausbildung. Ab dem Jahr 2003 arbeitete er in einer Gießerei, wobei er schwere körperliche Tätigkeiten verrichtete. Am 23.08.2012 erlitt der Kläger bei einem Arbeitsunfall eine Verletzung am linken Oberschenkel sowie an der rechten Schulter. Zu einer weiteren Tätigkeit in der Gießerei war der Kläger seit diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage. Im Zusammenhang mit den ärztlichen Behandlungsmaßnahmen nach dem Arbeitsunfall wurde ein Tumor in der Halswirbelsäule festgestellt, der am 06.11.2012 operiert wurde. An die Operation schloss sich eine Bestrahlungstherapie an.
Der Kläger verlangte vorgerichtlich von der Beklagten, gestützt auf verschiedene Arztberichte, die Zahlung der vereinbarten Er...