Entscheidungsstichwort (Thema)
Tierhalterhaftung beim Abwurf eines Reiters in Ritterbekleidung bei Fotoshooting
Leitsatz (amtlich)
1. Die Tierhalterhaftung nach § 833 BGB kommt auch dem Reiter zugute, dem das Pferd aus Gefälligkeit überlassen wird.
2. Kein Ausschluss der Tierhalterhaftung unter dem Gesichtspunkt der "menschlichen Leitung des Tieres", wenn ein Pferd, das von einer ihm vertrauten Person am Zügel gehalten wird, bockt und den Reiter abwirft.
3. Kein anspruchsmindernder Mitverursachungsbeitrag des Reiters, der zum Zwecke der Anfertigung von Fotos Ritterbekleidung auf ein Pferd aufsitzt, das von einer dem Pferd vertrauten Person am Zügel gehalten wird, bockt und den Reiter abwirft.
Normenkette
BGB § 833
Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 11.07.2011; Aktenzeichen 3 O 153/10 D) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Konstanz vom 11.7.2011 - 3 O 153/10D- wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Beschluss: Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt EUR 39.771,55.
Gründe
A. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klagabweisung weiter. Sie macht geltend, die Tierhalterhaftung nach § 833 BGB trete nicht ein, wenn der Verletzte die Herrschaft über das Tier in Kenntnis der damit verbundenen besonderen Tiergefahr im eigenen Interesse übernommen und sich bewusst ungewöhnlichen Risiken ausgesetzt habe. Das sei hier der Fall, weil der Kläger das Pferd ohne jede reiterliche Erfahrung bestiegen habe und sich auch nicht von einer mit Pferden vertrauten Person habe einweisen lassen. Er sei dabei ungewöhnliche Risiken eingegangen, weil das Besteigen des Pferdes in Ritterbekleidung und mit Hilfe einer kleinen Treppe eine ungewöhnliche und das Pferd beunruhigende Situation dargestellt habe, und der Kläger sich im Falle eines Sturzes wegen des Schildes nicht hinreichend habe abstützen können. Überdies habe das Tier unter menschlicher Leitung gestanden, so dass eine Tierhalterhaftung ausscheide. Jedenfalls sei das Haftungsprivileg des § 599 BGB (Leihe) anzuwenden. Mindestens sei unter den vorgenannten Gesichtspunkten ein erhebliches Mitverschulden des Klägers zu berücksichtigen. Zum Verdienstausfallschaden bestreitet die Beklagte, dass der Kläger wegen der Unfallfolgen gekündigt wurde. Tatsächlich sei er aus betrieblichen Gründen gekündigt worden. Der Kläger hätte sich überdies gegen die unberechtigte Kündigung zur Wehr setzen müssen, statt eine Abfindungsvereinbarung zu schließen. Das zuerkannte Schmerzensgeld (10.000 EUR) sei überhöht, angemessen seien allenfalls 4.000 EUR.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien in beiden Rechtszügen Bezug genommen.
B. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
I. Zu Recht hat das LG die (volle) Haftung der Beklagten nach § 833 BGB dem Grunde nach bejaht.
1. Vertragliche Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu, weil die Beteiligten bei dem Vorgang keinen Rechtsbindungswillen hatten. Die Tochter der Beklagten gestattete dem Kläger gefälligkeitshalber das kurzzeitige Aufsitzen auf das Pferd zur Anfertigung von Fotos. Die Annahme eines Leih- oder ähnlichen Gebrauchsüberlassungsverhältnisses mit Begründung von Rechten und Pflichten wäre eine auf einer Willensfiktion beruhende künstliche Rechtskonstruktion, an die keiner der Beteiligten gedacht hat (vgl. BGH NJW 1992, 2474, 2475).
2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 833 S. 1 BGB sind erfüllt. Der Kläger ist durch das Reitpferd der Beklagten an Körper und Gesundheit beschädigt worden. Bei dem Unfall hat sich die spezifische Tiergefahr verwirklicht, weil das Pferd plötzlich scheute und den Kläger abgeworfen hat. Eine typische Tiergefahr äußert sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten des Tieres (BGH NJW-RR 2006, 813 Tz 7). Zu Unrecht meint die Berufung, die Tierhalterhaftung scheide vorliegend aus, weil das Pferd unter menschlicher Leitung gestanden habe, weil die Tochter der Beklagten es am Zügel gehalten habe. Zwar kann es an der Ursächlichkeit der spezifischen Tiergefahr fehlen, wenn das Tier lediglich der Leitung und dem Willen eines Menschen folgt und nur daraus der Schaden resultiert, weil er dann allein durch den Menschen verursacht wird (BGH, a.a.O.). So liegt der Fall hier aber nicht. Die Tochter der Beklagten hat das Pferd nicht dahingehend gesteuert, dass es bocke und den Kläger abwerfe. Vielmehr hatte dieses selbständige Verhalten des Pferdes seinen Grund in der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens.
3. Auch dem Kläger als Reiter kommt die Tierhal...