Leitsatz (amtlich)
Ein Fahrzeugführer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union eine für das Gebiet des Mitgliedstaats zum Führen von Kraftfahrzeugen berechtigende Bescheinigung über das Bestehen der praktischen Fahrprüfung, aber noch kein EU-Führerschein ausgestellt wurde, kann sich wegen eines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 StVG strafbar machen.
Normenkette
StVG § 21; FeV § 29 Abs. 1, 3 S. 1 Nr. 1
Gründe
I. Mit Urteil vom 12.9.2018 sprach das Amtsgericht den Angeklagten vom Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis aus rechtlichen Gründen frei. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
II. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte am 4.4.2015 einen PKW auf öffentlichen Straßen in K. geführt habe und dabei nicht im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis gewesen sei. Er habe allerdings als französischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Frankreich am 23.3.2015 in Frankreich die praktische Prüfung für den Erwerb der Fahrerlaubnis der Klasse B bestanden, worüber ihm eine Bescheinigung ausgestellt worden sei, die er bei der Fahrt bei sich getragen habe. Der französische Führerschein sei ihm am 30.4.2015 ausgestellt worden.
Damit sei zwar der Tatbestand des § 21 StVG erfüllt, ein Schuldspruch wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Begehensweise dennoch nicht zulässig, weil ein solcher Schuldspruch im Hinblick auf das Recht der Europäischen Union unverhältnismäßig sei.
III. Auf die zulässige (Sprung-)Revision (§ 335 Abs. 1 StPO) ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Der Freispruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Im rechtlichen Ausgangspunkt geht das Amtsgericht zwar zutreffend davon aus, dass der Angeklagte gemäß dem festgestellten Sachverhalt den objektiven Tatbestand das § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG erfüllt hat, unzutreffend ist jedoch die Annahme, dass eine strafrechtliche Verurteilung im Hinblick auf das Recht der Europäischen Union unverhältnismäßig sei.
1. Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis erfüllen dann den objektiven Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG, wenn sie im Inland ein Kraftfahrzeug führen, ohne dass die Voraussetzungen des § 29 FeV vorliegen oder wenn diese Berechtigungen nach § 29 FeV nicht mehr gelten (vgl. BHHJ-Hühnermann, StVG, 25. Aufl., Rdn. 6 zu § 21). Gemäß § 29 Abs. 1 FeV dürfen Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Ausland im Umfang ihrer Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge führen. Gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 FeV gilt dies jedoch nicht für Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse, die lediglich im Besitz eines vorläufig ausgestellten Führerscheins sind.
Nach diesen Maßgaben hat der Angeklagte vorliegend den objektiven Tatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG erfüllt. Er hat als französischer Staatsangehöriger, der in Frankreich aufgrund der erteilten Bescheinigung über das Bestehen der praktischen Fahrprüfung in Frankreich (Certificat d‚examen du permis de conduire) grundsätzlich zum Führen eines Kraftfahrzeugs berechtigt war, in der Bundesrepublik Deutschland ein Kraftfahrzeug geführt. Dabei handelt es sich bei der dem Angeklagten erteilten Bescheinigung über das Bestehen der praktischen Fahrprüfung lediglich um einen vorläufig ausgestellten Führerschein im Sinne des § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV, nachdem ihm diese lediglich zeitlich beschränkt für vier Monate als Legitimationspapier zur Teilnahme am Straßenverkehr in Frankreich diente (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Aufl., Rdn. 13 zu § 29 FeV).
2. Anders, als dies das Amtsgericht im angefochtenen Urteil vertreten hat, ist eine strafrechtliche Sanktionierung grundsätzlich auch nicht im Hinblick auf das Recht der Europäischen Union unverhältnismäßig.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat im Gegenteil im Vorabentscheidungsverfahren auf Vorlage des Amtsgerichts Kehl in anderer Sache bei vergleichbarer Sachlage explizit festgestellt, dass es nicht gegen europarechtliche Vorgaben, insbesondere nicht gegen Art. 21, 45, 49 und 56 AEUV verstößt, wenn einem Fahrzeugführer, der bei einer Fahrt in der Bundesrepublik Deutschland mit seinem PKW lediglich eine Bescheinigung über das Bestehen der praktischen Fahrprüfung in Frankreich vorweisen kann, eine Sanktion auferlegt wird. Bei der Bemessung der Sanktion sei zwar zu beachten, dass in dieser Konstellation der Unrechtsgehalt im Hinblick auf das Ziel der Richtlinie 2006/126, zur Erhöhung der Verkehrssicherheit beizutragen, erheblich geringer als der Unrechtsgehalt der Führung eines Fahrzeugs ohne jede Fahrerlaubnis erscheine und deshalb eine harte - straf- oder verwaltungsrechtliche - Sanktion wie eine Freiheitsstrafe oder eine hohe Geldstrafe die in Art. 21 AEUV gewährte Freizügigkeit oder die besonderen Grundfreiheiten der Art. 45, 49, 56 AEUV beeinträchtigen würde, die Auferlegung einer milden Sanktion wie einer Geldbuße in ...