Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Selbsttötungsklausel (VVG § 169, ALB 94 § 9) sind an das Beweismaß für den Nachweis eines Zustands krankhafter Störung der Geistestätigkeit keine zu strengen Anforderungen zu stellen.
Das Gericht hat keine Befugnis, einen Privatgutachter, der nicht als sachverständiger Zeuge oder als gerichtlicher Sachverständiger in Betracht kommt, zu einem Gerichtstermin zu laden.
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Aktenzeichen 6 O 309/01) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Karlsruhe vom 9.8.2002 – 6 O 309/01 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
I. (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Die Klägerin begehrt als Begünstigte einer Lebensversicherung die Auszahlung der Versicherungssumme (994.691 DM abzgl. geleisteten Rückkaufswert i.H.v. 117.431,76 DM = 877.259, 24 DM bzw. 448.535,52 Euro).
Der Versicherte, Ehemann der Klägerin, beging am 19.7.2000 Selbstmord. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 15.5.2001 unter Berufung auf § 10 der zum Inhalt des Versicherungsvertrages gemachten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung (ALB) die Auszahlung der Versicherungssumme ab (sog. Selbsttötungsklausel). Die Klägerin vertritt die von einem Privatgutachten gestützte Auffassung, ihr Ehemann habe unter Depressionen gelitten und sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit umgebracht. Das LG hat nach der Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei für ihren Vortrag beweisfällig geblieben. Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochten Urteils wird Bezug genommen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Sie greift die Beweiswürdigung des LG an, meint, ihr Privatgutachter müsse im Rahmen einer Beweisaufnahme gehört werden und benennt zwei in erster Instanz verhinderte Zeugen.
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Der Senat hat den Privatgutachter Prof. Dr. S. als sachverständigen Zeugen vernommen und die gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. K. erneut angehört.
II. (§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
A. Die Berufung rügt Verfahrensfehler des LG im Zusammenhang mit den Tatsachenfeststellungen.
Zum einen beanstandet die Klägerin, das LG habe den Privatgutachter Prof. Dr. S. nicht angehört, obwohl sie dies beantragt habe. Insoweit liegt jedoch kein Verfahrensfehler vor. Es ist jeder Partei unbenommen, die fehlende eigene Sachkunde in der mündlichen Verhandlung dadurch auszugleichen, dass sie sich eines Privatgutachters als Erklärungs-, Befragungs- und Darlegungshelfers bedient. Die Gerichte haben in Fällen fehlender eigener Sachkunde auf einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen zurückzugreifen. Soweit ins Wissen des Privatgutachters strittige Befundtatsachen gestellt werden, hat das Gericht allerdings den Privatgutachter als sachverständigen Zeugen zu hören. Verhält es sich so nicht, eröffnet die Zivilprozessordnung, die insoweit auch in der letzten umfangreichen Novellierung die bekannte Problematik nicht abw. geregelt hat, keine Befugnis, am Verfahren nicht beteiligte Personen, die weder Zeuge noch Sachverständige noch Dolmetscher sind, zu einem Gerichtstermin zu laden (vgl. auch OLG Karlsruhe v. 25.1.1989 – 7 U 155/87, VersR 1990, 53). Für den hoheitlichen Akt einer Ladung des Privatgutachters fehlt es somit an einer Ermächtigungsgrundlage. Dass das LG im Gegensatz zum Senat die ins Wissen des Privatgutachters gestellten Befundtatsachen für unerheblich gehalten hat, begründet keinen Verfahrensfehler.
Zum anderen beanstandet die Klägerin, dass das LG die Zeugen nicht in Gegenwart der gerichtlichen Sachverständigen angehört habe; eine umfassende Exploration der beteiligten Personen habe nicht stattgefunden. Die von ihr zum Beleg herangezogene Entscheidung des BGH (BGH v. 5.2.1997 – IV ZR 80/96, NJW-RR 1997, 664) gibt allerdings nur den Hinweis, dass ein solches Vorgehen sinnvoll sei, und beschränkt im Einklang mit der Zivilprozessordnung die Beweisaufnahme durch Zeugenbeweis auf die bestrittenen Befundtatsachen. Dabei geht der Senat davon aus, dass zwar an das Vorbringen, der Versicherte habe sich in einem seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit getötet, ein unzulässig strenger Maßstab angelegt wird, wenn eine von vornherein umfassende und in sich stimmige Schilderung aller in Betracht kommenden Indiztatsachen verlangt wird, eine solche jedoch nachgeholt werde...