Leitsatz (amtlich)

Verschafft sich ein Täter durch eine zum Lüften geöffnete Haustür Zutritt zu einer Wohnung und nimmt dort den vom - in einem anderen Raum befindlichen - Versicherungsnehmer unbemerkt auf einem Tisch abgelegten Fahrzeugschlüssel an sich, mit dem er dann den vor dem Haus geparkten Pkw entwendet, so trifft den Versicherungsnehmer nicht ohne Weiteres der Vorwurf grober Fahrlässigkeit.

 

Normenkette

VVG § 61

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Urteil vom 01.06.2006; Aktenzeichen 11 O 151/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird unter deren Zurückweisung im Übrigen das Urteil des LG Karlsruhe vom 1.6.2006 - 11 O 151/05 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 33.700 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.6.2005 sowie vorgerichtliche, nicht anrechenbare Kosten i.H.v. 703,30 EUR zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 9/10, die Klägerin 1/10.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistung aus einer Kraftfahrzeug-Kaskoversicherung nach einem Pkw-Diebstahl in Anspruch. Die Klägerin hat für den Pkw BMW 530 D, Baujahr 2003, amtliches Kennzeichen ..., bei der Beklagten eine Vollkaskoversicherung mit einem Selbstbehalt von 300 EUR abgeschlossen.

Das Fahrzeug ist zwischen dem 12.5.2005, 21.30 Uhr und dem 13.5.2005, 11.00 Uhr in B, einem Ort am ungarischen Plattensee, gestohlen worden. Dort besitzt die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann ein Ferienhaus. Die Klägerin hatte das Fahrzeug am 12.5.2005 abends vor dem Ferienhaus abgestellt und hatte den Fahrzeugschlüssel auf dem Tisch des Wohnzimmers abgelegt; die Wohnungstür war verschlossen gewesen. Am nächsten Morgen öffnete die Klägerin für ca. eine bis anderthalb Stunden die Wohnungstür, um das Haus zu lüften, während sie selbst im Haus verschiedene Arbeiten durchführte. Während dieser Zeit gelangte der Dieb durch die Wohnungstür in das angrenzende Wohnzimmer und entwendete, von der Klägerin unbemerkt, den Fahrzeugschlüssel vom dortigen Tisch; mit dem Schlüssel wurde das Fahrzeug entwendet, das bis heute nicht mehr aufgefunden wurde. Das Tor des Metallzauns, der das Grundstück umgibt, war zu diesem Zeitpunkt geschlossen; ob es auch abgeschlossen war, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe den Versicherungsfall nicht grob fahrlässig herbeigeführt.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 36.700 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins seit dem 26.6.2005 sowie vorgerichtliche, nicht anrechenbare Anwaltsgebühren i.H.v. 703,30 EUR zu zahlen.

Hilfsweise:

die Beklagte zu verurteilen, an die B 36.700 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins seit dem 26.6.2005 sowie vorgerichtliche nicht anrechenbare Anwaltsgebühren i.H.v. 703,30 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, durch das Offenlassen der Wohnungstür, während der Schlüssel auf dem Wohnzimmertisch lag, sei als grob fahrlässig zu würdigen, zumal sich das Ferienhaus im osteuropäischen Ausland befinde. Sie sei daher gem. § 61 VVG leistungsfrei. Ferner sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert, weil das Fahrzeug nicht im Eigentum der Klägerin, sondern im Eigentum der B stehe (s. Anlage B 5). Ferner bestreitet die Beklagte die Schadenshöhe mit Nichtwissen.

Das LG hat die in der Akte befindlichen Lichtbilder und Pläne des Ferienhauses in Augenschein genommen. Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat das LG die Klage abgewiesen, weil die Klägerin den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Das gelte auch dann, wenn das Tor des Metallzauns, wie von der Klägerin behauptet, abgeschlossen gewesen sei.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren zuletzt nur noch im Rahmen des Hilfsantrags weiter. Sie verweist darauf, dass jeder Diebstahl letztlich vermeidbar sei. Es könne nicht unterstellt werden, dass der Täter von vornherein beabsichtigt habe, das Auto der Klägerin zu stehlen. Es sei völlig normal, bei einem Ferienhaus die Tür zum Garten zum Lüften zu öffnen; es könne nicht verlangt werden, die Tür zum Garten ständig abzuschließen. Das Risiko des Täters, von der im Haus anwesenden Klägerin bemerkt zu werden, sei außerordentlich hoch gewesen. Mit dem Diebstahl habe die Klägerin aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung in Ungarn nicht rechnen müssen.

Die Beklagte beantragt unter Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils die Zurückweisung der Berufung.

II. Die zulässige Berufung hat überwiegend Er...

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