Leitsatz (amtlich)
1. Der Betreiber eines sozialen Netzwerks ist auch bei Fehlen einer diesbezüglichen, wirksamen Klausel in den Nutzungsbedingungen berechtigt, Beiträge zu löschen, die den objektiven Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllen.
2. Für das Vorliegen dieses Tatbestands ist der Betreiber des sozialen Netzwerks darlegungs- und beweisbelastet.
3. Eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ist anzunehmen, wenn der Beitrag über die Überzeugungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkungen angelegt ist und eine breite Öffentlichkeit erreicht. Wenn eine Äußerung im Rahmen eines sozialen Netzwerks erfolgt, ist es eine Frage des Einzelfalls, ob die notwendige Außenwirkung erreicht wird.
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 5 O 265/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 17.07.2020, Az. 5 O 199/19, im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:
a) Der Beklagten wird aufgegeben, den am 03.04.2019 gelöschten Beitrag des Klägers wieder freizuschalten:
"Früher war die Wahrscheinlichkeit auch nicht so groß vom Flüchtling gemessert oder vergewaltigt zu werden"
b) Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des in Ziff. 1 a) genannten Textes auf www.f.com erneut zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich dieser auf einen Artikel über "Elterntaxis" in Hamburg und hierbei auf den Beitrag einer anderen Nutzerin, dass früher Kinder zur Schule liefen oder Rad fuhren, bezieht. Für den Fall der Zuwiderhandlung wird ihr Ordnungsgeld von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft angedroht, Ordnungshaft zu vollziehen an den Vorständen.
c) Die Beklagte wird verurteilt, die Daten des Klägers dahingehend zu berichtigen, dass das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen durch den am 03.04.2019 zunächst gelöschten Beitrag aus dem Datensatz gelöscht wird und der Zähler, der die Zahl der Verstöße erfasst, um einen Verstoß zurückgesetzt wird.
d) Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von Rechtsanwaltskosten für die außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 492,54 EUR durch Zahlung an die Kanzlei A freizustellen.
e) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
1. 2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 43% und die Beklagte 57%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 57% und die Beklagte 43 %.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.300 EUR festgesetzt.
Gründe
A Der Kläger unterhält bei dem von der Beklagten betriebenen sozialen Netzwerk "f" ein Benutzerkonto. Die Parteien streiten über die Löschung eines Beitrags und die Folgen einer vorübergehenden Sperrung des Kontos.
Als Reaktion auf einen Artikel einer Hamburger Zeitung über sog. "Elterntaxis", in welchem dazu aufgerufen wurde, Kinder nicht mehr bis unmittelbar vor die Schule zu fahren, postete eine F-Nutzerin einem Beitrag, in welchem sie angab, dass es einen solchen Luxus in ihrer Kindheit nicht gegeben habe. Der Kläger veröffentlichte als Reaktion auf diesen Beitrag unter seinem Nutzerprofil folgenden Beitrag:
"Da war die Wahrscheinlichkeit aber auch nicht so groß wie heute unterwegs vom Flüchtling gemessert oder vergewaltigt zu werden".
Am 03.04.2019 löschte die Beklagte diesen Beitrag unter Berufung auf ihre Gemeinschaftsstandards und versetzte das Nutzerkonto des Klägers vorübergehend in einen sogenannten 'read-only-Modus', so dass der Kläger auf sein Konto zugreifen und fremde Inhalte einsehen, aber selbst keine Beiträge veröffentlichen konnte.
Im Übrigen wird wegen der tatsächlichen Feststellungen auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Ansprüche auf Wiederherstellung, Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz seien nicht begründet, da die vorübergehende Sperrung des Kontos aufgrund der wirksamen und einbezogenen Nutzungsbedingungen gerechtfertigt gewesen sei. Auf die Frage, ob der Feststellungsantrag zulässig sei, komme es daher nicht an. Der Inhalt des beanstandeten Beitrags erfülle die Definition von "Hassrede" im Sinne der vereinbarten Gemeinschaftsstandards. Hieraus ergebe sich auch die Unbegründetheit der weiteren, geltend gemachten Ansprüche. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter und hat die Klage um den nachfolgenden Antrag Ziffer 5 erweitert.
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Regelungen in den Nutzungsbedingungen, auf die sich die Maßnahme der Beklagten stütze, seien nicht wirksam einbezogen worden und verstießen gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 sowie § 308 Nr. 5 BGB. Das Landgericht habe außerdem zu Unrecht einen Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen angenommen.
Der Tatbestand der Volksverhet...