Leitsatz (amtlich)

Verlässt der Auftraggeber nach Kündigung des Vertrags das Erfüllungsstadium, tritt der die Fälligkeit der Bürgschaftsforderung begründende Sicherungsfall auch ohne Abnahme ein. Nach Ablauf der damit beginnenden Verjährungsfrist ist die Bürgschaftsurkunde herauszugeben.

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Entscheidung vom 30.01.2009; Aktenzeichen 8 O 204/08)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.01.2009 - 8 O 204/08 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, die Bürgschaftsurkunden jeweils lautend: Auftragnehmer O. S. GmbH & Co. KG, Auftraggeber L.V. ..., betreffend Projektnummer 506/21 vom 28.01.2002 in Höhe von 21.175,00 EUR und vom 22.11.2001 in Höhe von 96.350,00 EUR an die Volksbank R. ... e.G., G.-platz, G. herauszugeben.

2. Es wird festgestellt, dass keine Ansprüche der Beklagten aus dem Bürgschaftsverhältnis - Auftragnehmer O. S. GmbH & Co. KG, Auftraggeber L.V. ..., betreffend Projektnummer 506/21 vom 28.01.2002 in Höhe von 21.175,00 und vom 22.11.2001 in Höhe von 96.350,00 EUR - gegen die Volksbank R. ... e.G., G.-platz, G. mehr bestehen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, 950,15 EUR vorgerichtliche Anwaltkosten an die Klägerin zu bezahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung durch Bürgschaft i.S.d. § 108 Abs 1 ZPO in Höhe von 141.000 € abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Art Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

7. Der Streitwert wird auf 117.525 € festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt als Insolvenzverwalterin der O. S. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin) aus abgetretenem Recht von der Beklagten Herausgabe zweier Bürgschaftsurkunden an die Volksbank R. ... e.G. (im Folgenden: Bürgin) sowie die Abgabe einer Erklärung, dass keine Ansprüche aus den Bürgschaftsurkunden mehr bestehen.

Die Insolvenzschuldnerin und die Beklagte hatten im November 2001 einen Werkvertrag über die Errichtung eines Neubaus einer Abwasserbehandlungsanlage auf dem in Frankreich gelegenen Betriebsgelände der Beklagten geschlossen.

Die Insolvenzschuldnerin war nach den dem Werkvertrag zugrunde liegenden besonderen Vertragsbedingungen (Ziffer 5.1; I Anlage K2) verpflichtet, als Sicherheit für die Vertragserfüllung eine Bürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme einschließlich der Nachträge zu stellen (I K2, AS 9). Diese Verpflichtung wurde durch Übergabe zweier selbstschuldnerischer Bürgschaftserklärungen auf erstes Anfordern vom 22.11.2001 und 28.01.2002 durch die Bürgin erfüllt (I AHK 11, 13; K3, K4).

Ziffer 5.1 der besonderen Vertragsbedingungen des Werkvertrages enthält hierbei folgende Regelung:

Als Sicherheit für die Vertragserfüllung hat der Auftragnehmer eine Bürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme einschließlich der Nachträge zu stellen... Nach Empfang der Schlusszahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche kann der Auftragnehmer verlangen, dass die Bürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 5 % der Abrechnungssumme umgewandelt wird.

Nach vorheriger Androhung wurde der Werkvertrag am 22.10.2003 von der Beklagten gekündigt (I AHK K5). Eine Abnahme der von der Insolvenzschuldnerin bis dahin erbrachten Werkleistungen fand nicht statt.

Mit Schreiben vom 25.04.2004 (I AHK 17, K6) wurde die Bürgin von der Beklagten aufgefordert, die Bürgschaftssumme aus beiden Bürgschaften zu bezahlen. Im Jahr 2006 erhob die Beklagte gegen die Insolvenzschuldnerin wegen weiterer Mängel, welche nicht Gegenstand der Kündigung waren, Klage vor dem Landgericht Karlsruhe (6 O 337/06). Diese Mängel waren mit Schreiben der Beklagten vom 18.05.2006 gegenüber der Insolvenzschuldnerin gerügt worden (II 85, 89). An diesem Rechtsstreit war die Bürgin nicht beteiligt. Mit Beschluss vom 23.08.2007 (I K1) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestimmt. Die Bürgin ermächtigte die Klägerin mit Schreiben vom 02.10.2008 zur Geltendmachung von Herausgabeansprüchen aus den Bürgschaften (I K 13).

Die Klägerin hat vorgetragen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Bürgschaftserklärungen um Vertragserfüllungsbürgschaften handle und die Bürgschaftsforderung verjährt sei. Die Beklagte hat hingegen die Auffassung vertreten, es handle sich um Gewährleistungsbürgschaften, was bereits aus dem Text der Bürgschaftsurkunden zu erkennen sei. Der Beklagten stünden, da eine Abnahme der erbrachten Werkleistung nach der Kündigung nicht erfolgt sei, noch Gewährleistungsansprüche zu. Aufgrund des im Mai 2006 neu aufgetretenen Mangels am Anaerobreaktor bestehe ebenfalls ein Gewährleistungsanspruch vor Abnahme, sodass ein neuer Sicherungsfall eingetreten sei, der von den Bürgschaften erfasst we...

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