Verfahrensgang

LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 12 O 144/18 KfH)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 17.07.2020, Az. 12 O 144/18 KfH, abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Geschäftsführern der Komplementärin der Beklagten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr ein Mittel "Gefäß-Aktiv zum Diätmanagement bei leichtem Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen im Frühstadium der Arteriosklerose und Diabetiker-Durchblutungsstörungen" zu vertreiben.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 EUR abwenden, wenn nicht der Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 50.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger verfolgt mit dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch ein Vertriebsverbot für ein Produkt der Beklagten. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es steht auf dem Standpunkt, es handle sich bei dem Mittel "Gefäß-Aktiv zum Diätmanagement bei leichtem Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen im Frühstadium der Arteriosklerose und Diabetiker-Durchblutungsstörungen" um ein zulässiges Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (im Folgenden: LbmZ) im Sinne des Art. 2 Abs. 2 lit. g VO (EU) 609/2013, auch wenn das Produkt nicht dazu diene, ein krankheitsbedingtes Ernährungsdefizit auszugleichen. Mit der Veränderung der Begrifflichkeit "diätetische Behandlung", die für LbmZ gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. b) der RL 1999/21/EG bzw. § 1 Abs. 4a DiätV bestimmend war, zu der davon abweichenden "neuen" Begriffsbestimmung "Diätmanagement" in Art. 2 Abs. 2 lit. g VO (EU) 609/2013 sei keine inhaltliche Einschränkung des bislang zur Anwendung gelangten "weiten Ernährungsbegriffs" verbunden. Das ergebe sich auch aus dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 lit. g VO (EU) 609/2013, wonach ein sonstiger medizinisch bedingter Nährstoffbedarf nicht nur dann bestehe, wenn ein Nährstoffdefizit ausgeglichen (Alt. 1), sondern auch wenn auf andere Weise durch die Nährstoffzufuhr ernährungsbedingten Erkrankungen entgegengewirkt werden solle (Alt. 2). Auch der Erwägungsgrund 3 der Delegierten Verordnung (EU) 2016/128 stehe der Fortgeltung des weiten Ernährungsbegriffs nicht entgegen. Das Landgericht hält deshalb an dem vom BGH geprägten weiten Ernährungsbegriff fest. "Gefäß-Aktiv" sei ausweislich mehrerer von der Beklagten vorgelegter und von dem Kläger nicht bestrittener wissenschaftlicher Studien für die angegebenen Ernährungszwecke, nämlich zum Diätmanagement bei leichtem Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen im Frühstadium der Arteriosklerose und Diabetiker-Durchblutungsstörungen, geeignet (Art. 9 Abs. 1 VO (EU) 609/2013). Da ausreichend belegt sei, dass "Gefäß-Aktiv" bei den genannten Beschwerden insbesondere wegen der darin enthaltenen Hauptzutaten, der Aminosäuren L-Arginin und L-Citrullin, einen positiven Effekt auf den Stoffwechsel haben könne, sei die klägerseits beanstandete Aussage auch nicht irreführend. Es werde nicht der Eindruck erweckt, "Gefäß-Aktiv" diene der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit.

Der Kläger verfolgt mit der Berufung weiter sein Ziel eines Vertriebsverbots für das Mittel "Gefäß-Aktiv zum Diätmanagement bei leichtem Bluthochdruck, Durchblutungsstörungen im Frühstadium der Arteriosklerose und Diabetiker-Durchblutungsstörungen". Er rügt, das Landgericht stelle sich mit seiner Rechtsauffassung, der weite Ernährungsbegriff gelte seit der Einführung der VO (EU) 609/2013 fort, gegen eine mittlerweile gefestigte Rechtsprechung. Mit der Einführung der VO (EU) 609/2013 sei durch dessen Art. 2 Abs. 2 lit. g) klargestellt, dass LbmZ eine ausreichende Ernährung ausschließlich solcher Patienten sicherstellen solle, welche krankheitsbedingt unter einem Ernährungsdefizit litten, das aufgrund eingeschränkter, behinderter oder gestörter Fähigkeit zur Aufnahme, Verdauung, Resorption, Verstoffwechselung und Ausscheidung gewöhnlicher Lebensmittel, Nährstoffe bzw. Stoffwechselprodukte nicht gedeckt werden könne, oder die aufgrund ihrer Krankheit in eine Mangelsituation hineingeraten könnten. Das Diätmanagement mit einem LbmZ solle dem entgegenwirken. Das Landgericht habe zu Unrecht festgestellt, dass die Änderung der Begriffsbestimmung von "diätetischer Behandlung" einerseits zu "Diätmanagement" andererseits mit keiner inhaltlichen Einschränkung des bislang zur Anwendung gelangten "weiten Ernährungsbegriffs" verbunden sei. Hierzu habe es unzutreffend angenommen, dies ergebe sich aus einem...

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