Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt für Beurteilung der Berufsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
Für die Beurteilung des Eintritts der Berufsunfähigkeit kommt es nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung sondern auf den Zeitpunkt der Prognosestellung durch die Befunderhebung an. Der späteren Entwicklung des Gesundheitszustandes kommt (nur) Indizwirkung zu.
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 16.06.2003; Aktenzeichen 1 O 208/02) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Freiburg vom 16.6.2003 abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Krankentagegeldversicherungsverhältnis der Parteien gemäß Versicherungsausweis vom 29.10.1999 - Vers.-Nr. ... unter Nr. 31 und 32 - nicht mit dem 10.12.2001 geendet hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Rechtszüge haben der Kläger 95 % und die Beklagte 5 % zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Gruppenversicherung mit dem Deutschen Anwaltsverein auf Leistung von Krankentagegeld sowie Feststellung des Fortbestandes des Versicherungsverhältnisses über den 10.12.2001 hinaus in Anspruch. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat der Klage weitgehend entsprochen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Sie ist der Ansicht, sie sei entgegen der Auffassung des LG leistungsfrei, da bei dem Kläger seit dem 10.12.2001 bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorgelegen habe und die damals getroffene und insoweit auch maßgebliche Prognose des im Auftrag der Beklagten begutachtenden Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. sich nicht etwa nachträglich als unrichtig erwiesen habe. Eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis 31.3.2002 sei zudem entgegen dem LG nicht nachgewiesen und der Feststellungsantrag sei nicht begründet, weil das Versicherungsverhältnis aufgrund der Berufsunfähigkeit wie aber auch der Arbeitslosigkeit des Klägers nach den dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AVB sowie dem gewählten Tarif geendet habe. Hilfsweise stellt die Beklagte nachzuentrichtende Versicherungsbeiträge zur Aufrechnung.
Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, wobei er im Wesentlichen das angefochtene Urteil verteidigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Dr. D. und Anhörung des Sachverständigen Privatdozent Dr. H.
II. Die zulässige Berufung hat weitgehend Erfolg. Entgegen der Ansicht des LG ist die Beklagte wegen Berufsunfähigkeit des Klägers ab dem 10.12.2001 leistungsfrei geworden mit der Folge, dass die Zahlungsklage unbegründet ist. Die Berufsunfähigkeit des Klägers hat indessen nicht, wie das LG zu Recht angenommen hat, zu einer Beendigung des Versicherungsverhältnisses geführt, andererseits besteht sie aber entgegen dem LG auch nicht seit dem 10.12.2001 unverändert fort, sondern - je nach Verlangen des Klägers - nur als eine Ruhens- oder Anwartschaftsversicherung.
1. Die Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Berufsunfähigkeit hat gem. § 14 Abs. 1 lit. b AVB-G (insoweit entsprechend § 15 lit. b MB/KT 94) zur Voraussetzung, dass der Versicherte nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit zu mehr als 50 % erwerbsunfähig ist. Darlegungs- und beweispflichtig für den Eintritt der Berufsunfähigkeit ist der Versicherer (Wilmes in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., § 15 MB/KT Rz. 26; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 15 MB/KT Rz. 27 - jeweils m.N. der Rspr.). Maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit grundsätzlich derjenige, in dem ein tatsächlich erhobener medizinischer Befund die Erwerbsunfähigkeit attestiert (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 15 MB/KT Rz. 26). Ein solcher Befund liegt hier mit dem nervenärztlichen Gutachten des Dr. S. vom 10.12.2001 vor (Anlg.-Heft K S. 3); die Frage der Zulässigkeit einer rückwirkenden Feststellung der Berufsunfähigkeit (bejahend Wilmes in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., § 15 MB/KT Rz. 25; Castellvi, VersR 1996, 673; ablehnend etwa Prölss in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 15 MB/KT Rz. 26; OLG Düsseldorf v. 13.1.1998 - 4 U 207/96, OLGReport Düsseldorf 1999, 32 = NJWE-VHR 1998, 220 VersR 1999, 354; OLG Hamburg r+s 1994, 110; OLG Hamm v. 11.12.1991 - 20 U 175/91, OLGReport Hamm 1992, 218 = VersR 1993, 600) stellt sich insoweit im Streitfall nicht. Eine andere Frage ist, ob der erhobene Befund und die darauf gestützte Beurteilung, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, zutreffend bzw. einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich...