Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Will der Bußgeldrichter von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot absehen und stattdessen lediglich die Geldbuße erhöhen, hat er dies besonders eingehend zu begründen. Er muss im Einzelnen darlegen, auf Grund welcher Tatsachen er zu der Überzeugung gelangt ist, dass es in objektiver und subjektiver Hinsicht gerechtfertigt erscheine, vom Regelfahrverbot abzusehen. Rein subjektive Eindrücke des Richters ohne Tatsachensubstanz sind können ein Absehen vom Fahrverbot grundsätzlich nicht rechtfertigen. Die eingehend darzulegenden Tatumstände müssen so aus dem Rahmen üblicher Begehungsweise fallen, dass die Vorschrift über das Regelfahrverbot offensichtlich nicht darauf zugeschnitten wäre.

  • 2.

    Dass der Betroffene bisher verkehrsrechtlich unbelastet ist, ist ohne Bedeutung. Dies ist der Normalfall, von dem die Regelahndung nach der Bußgeldkatalogverordnung ausgeht. Soweit Voreintragungen für die Verhängung des Fahrverbots bzw. seine Bemessung von Bedeutung sind, ist dies in § 4 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 BKatV besonders zum Ausdruck gebracht.

  • 3.

    Ohne Bedeutung ist auch, dass der Betroffene nach der Tat bis zum Erlass des Urteils verkehrsrechtlich nicht mehr aufgefallen ist. Dies ist lediglich bereits eine Folge der "Denkzettelfunktion" des Fahrverbots, die naturgemäß auch schon vor dessen Vollzug Wirkung zeitigt. Mehr als dass das Fahrverbot in diesem Sinne bereits "vorgewirkt" hat, lässt sich aus dem beanstandungsfreien Verhalten des Betroffenen in diesem Zeitraum in aller Regel nicht herleiten. Daraus den Schluss zu ziehen, dass er des Vollzugs nicht mehr bedürfe und das im Bußgeldbescheid verhängte Fahrverbot wieder aufgehoben werden könne, ist unvertretbar.

  • 4.

    Der Richter ist durch die Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolge und die dadurch eingetretene Rechtskraft der Schuldform "Fahrlässigkeit" zwar gehindert, neue oder ergänzende Schuldfeststellungen zu treffen, die stattdessen die Tatschuld "Vorsatz" ergeben würden. Nicht gehindert, sondern mit Blick auf § 25 Abs. 1 StVG sogar verpflichtet ist er jedoch, Feststellungen darüber zu treffen, ob dem Betroffenen im Rahmen der Fahrlässigkeit der Vorwurf grober Nachlässigkeit zu machen ist.

  • 5.

    Bei der Bemessung des Fahrverbots hat der Bußgeldrichter sich grundsätzlich an die Vorgaben der BKatV zu halten. Die Anordnung des Fahrverbots in den Anwendungsfällen des § 4 BKatV wahrt nicht nur die Verhältnismäßigkeit der Sanktion, sondern gewährleistet darüber hinaus die Gleichbehandlung der Betroffenen und erfüllt damit auch ein Gebot der Gerechtigkeit.

  • 6.

    Die allgemein und mit großer Akzeptanz anerkannte Fahrverbotsregelung würde in ihrer erzieherischen Wirkung empfindlich geschwächt, wenn "berufliche Stresssituationen", wie sie in der heutigen Arbeitswelt an der Tagesordnung und für viele Kraftfahrer schon zum Normalfall geworden sind, als "Entschuldigungsgrund" für gefährliche Raserei Anerkennung fänden.

  • 7.

    Macht der Betroffene, um dem Fahrverbot zu entgehen, eine besondere berufliche Härte geltend, genügt es nicht, dass dem Tatrichter ein vom Betroffenen behaupteter Arbeitsplatzverlust möglich oder wahrscheinlich erscheint. Er muss vom sicheren Eintritt dieser - erfahrungsgemäß kaum jemals wirklich eintretenden - Folge vielmehr überzeugt sein und diese Überzeugung im Einzelnen begründen können. Keinesfalls dürfen die vom Betroffenen geltend gemachten Erschwernisse und Behinderungen ungeprüft übernommen werden. Etwaigen "Bestätigungen" des Arbeitgebers, dass es im Falle eines ein- oder mehrmonatigen Fahrverbots zum Arbeitsplatzverlust kommen werde, hat das Gericht mit gebotenem Misstrauen zu begegnen.

 

Verfahrensgang

AG Trier (Entscheidung vom 03.04.2003)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Trier vom 03. April 2003 mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Betroffene, der seit 1989 im Besitz einer Fahrerlaubnis und im Verkehrszentralregister nicht eingetragen ist, wurde am 04. Januar 2002 um 10.09 Uhr als Fahrer eines mit luxemburgischen Kennzeichen versehenen BMW seines Arbeitgebers auf der Trierer "Stadtautobahn" (A 602), auf der die Höchstgeschwindigkeit durch Zeichen 274 auf 100 km/h beschränkt ist, mit (nach Toleranzabzug) 179 km/h gemessen. Der Betroffene gibt den Verstoß zu und stellt auch die Korrektheit der Messung nicht in Abrede.

Der Bußgeldbescheid ist von einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen und hat ihm die Regelgeldbuße von 375,00 EUR sowie das Regelfahrverbot von drei Monaten auferlegt. Auf Einspruch des Betroffenen, beschränkt auf den Rechtsfolgenausspruch, hat das Amtsgericht unter Erhöhung der Geldbuße auf 500,00 EUR das Fahrverbot aufgehoben.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1.

Nicht zu beanstanden ist allerdings...

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