Leitsatz (amtlich)
1. Versucht ein LKW mit Anhänger auf einer Landstraße in einer schwer einsehbaren Kurve rückwärts in einen dort befindlichen Waldweg einzubiegen, wobei er zumindest kurzzeitig auch die Gegenfahrbahn in Anspruch nehmen muss, ist aufgrund dieses Fahrmanövers von einer - gegenüber einem entgegenkommenden Motorrad - erhöhten Betriebsgefahr des LKW auszugehen.
2. Eine nicht optimale Reaktion eines Motorradfahrers ("Fehlreaktion") auf eine plötzlich auftauchende Gefahrensituation (hier: die Fahrbahn teilweise versperrender Lkw mit Anhänger) kann dem Motorradfahrer nicht im Sinne eines Verschuldensvorwurfs zur Last gelegt werden.
Verfahrensgang
LG Trier (Aktenzeichen 5 O 105/18) |
Tenor
I. Der Senat weist auf Folgendes hin:
Der Senat neigt dazu die Haftungsquote dahingehend abzuändern, dass dem klagenden Land die überwiegende Mithaftung (2/3) an dem Zustandekommen des Verkehrsunfalls zugewiesen wird. Den Verursachungsbeitrag des Beklagten wertet der Senat folglich lediglich mit 1/3.
Gründe
Der Zeuge F. hat in ganz erheblicher Weise gegen die Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Er hat sich bei seinem Abbiegemanöver in keiner Weise so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Insbesondere aufgrund der durch die Kurve deutlich eingeschränkten Sichtverhältnisse und des absehbar erheblichen Zeitraums, den das beabsichtigte Fahrmanöver mit einem Lkw mit Anhänger in Anspruch nehmen werde, hätte sich der Zeuge F. in der gegebenen Situation entweder eines "Einweisers" (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Auflage, § 9 StVO Rn. 51) bedienen müssen, oder aber eine weitere Person damit betrauen müssen, den herannahenden Verkehr vor dem sich ergebenden Verkehrshindernis (rückwärtsfahrender Lkw mit Anhänger versperrt Fahrbahn und Teile der Gegenfahrbahn) zu warnen. Dem Zeugen F. hätte auch der Zeuge H. als Hilfsperson zur Verfügung gestanden. Hierbei war auch zu beachten, dass der Zeuge F. innerhalb des von ihm durchgeführten Fahrmanövers eine Korrektur vornehmen musste, was weitere Zeit in Anspruch nahm.
Der Senat sieht auch abweichend von den Erwägungen des Landgerichts die Betriebsgefahr des von dem Beklagten geführten Motorrades als jedenfalls nicht höher an als die Betriebsgefahr des klägerischen Lkw. Eine Erhöhung der Betriebsgefahr kann sich nicht nur aus der Art des geführten Fahrzeuges, sondern auch aus der Art des durchgeführten Fahrmanövers ergeben. Dass ein Rückwärts-Fahrmanöver eines Lkw mit Anhänger auf einer nur eingeschränkt einsehbaren Landstraße, wobei bei diesem Fahrmanöver nicht nur die eigene Fahrbahn sondern auch die Gegenfahrbahn in Anspruch genommen wird, ein erhebliches Gefahrenpotenzial beinhaltet, dürfte sich einer Diskussion entziehen. Aus den obigen Erwägungen sieht der Senat im Übrigen gleichzeitig einen Verstoß des Zeugen F. gegen das in § 1 Abs. 2 StVO postulierte allgemeine Gebot der Rücksichtnahme als gegeben an.
Der Senat vermag hingegen keinen erwiesenen Verstoß des Beklagten gegen eine Vorschrift der StVO zu erkennen. Gemäß den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Physiker M. in dessen Gutachten vom 25.01.2019 ist es nicht nachzuweisen, dass der Beklagte mit seinem Motorrad eine höhere Geschwindigkeit als 100 km/h gefahren ist. Anders als das Landgericht sieht der Senat es auch als nicht gesichert an, dass der Beklagte durch sein Fahrverhalten gegen die Regelung des § 3 Abs. 1 S. 4 StVO (Fahren auf Sicht) verstoßen hat. So mag es ihm gemäß den Ausführungen des Sachverständigen im Gutachten vom 25.01.2019 zwar (rechnerisch) durchaus möglich gewesen sein, das Motorrad noch vor dem Lkw zum Stehen zu bringen. Dem Senat erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass das Zustandekommen des Verkehrsunfalls zumindest auch auf eine Schreckreaktion des Beklagten und eine damit verbundene zeitliche Verzögerung zurückzuführen ist. Dies gilt noch stärker für den Umstand, dass der Beklagte - nach den Ausführungen des Sachverständigen - seinen Bremsvorgang hätte abbrechen können, wodurch er die Möglichkeit zurückgewonnen hätte, sein Motorrad kontrolliert am klägerischen Fahrzeug vorbeizusteuern. Eine solche nicht optimale Reaktion des Beklagten ("Fehlreaktion") auf die gegebene Gefahrensituation (Fahrbahn versperrender Lkw mit Anhänger) könnte dem Beklagten "nicht zur Last gelegt werden" (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 7 StVG Rn. 11).
In die gemäß § 17 StVG vorzunehmende Haftungsabwägung waren somit auf Seiten des klagenden Landes der Verstoß des Zeugen F. gegen § 9 Abs. 5 StVO und gegen § 1 Abs. 2 StVO, sowie die erheblich erhöhte Betriebsgefahr des Lkw, auf Seiten des Beklagten hingegen lediglich die von seinem Motorrad ausgehende Betriebsgefahr einzubringen. Dies mündet in die eingangs geschilderte Haftungsquote.
II. Angesichts der obigen Ausführungen schlägt der Senat vor, dass sich die Parteien im Wege des § 278 Abs. 6 ZPO wie folgt gütlich einigen sollten:
Zum Au...