Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den anwaltlichen Sorgfaltspflichten im elektronischen Rechtsverkehr
Normenkette
FamFG § 14 Abs. 2, § 17 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; EMRK Art. 6 Abs. 1; ZPO § 130a
Verfahrensgang
AG Betzdorf (Beschluss vom 04.08.2022; Aktenzeichen 52 F 46/22) |
Tenor
Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Betzdorf vom 4. August 2022 gerichtete Beschwerde der Antragsgegner wird als unzulässig verworfen.
Die Antragsgegner haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je 1/3 zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.000,- EUR festgesetzt.
Die auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den zweiten Rechtszug gerichteten Anträge der Antragsgegner werden zurückgewiesen.
Gründe
Die gemäß § 58 FamFG statthafte Beschwerde der Antragsgegner ist bereits unzulässig und infolgedessen zu verwerfen, §§ 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG. Denn die Beschwerde ist schon nicht fristgemäß eingelegt worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist den Antragsgegnern insoweit nicht zu gewähren.
Die maßgebliche Beschwerdefrist beträgt hier nach §§ 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG zwei Wochen und beginnt in Fällen wie dem vorliegenden gemäß §§ 63 Abs. 3 Satz 1, 214 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FamFG mit der Zustellung des anzufechtenden Beschlusses durch den Gerichtsvollzieher.
Die angefochtene Entscheidung ist den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner am 5. August 2022 zugestellt worden. Die Beschwerdefrist ist folglich bereits am 19. August 2022 - einem Freitag - abgelaufen (§§ 16 Abs. 2 FamFG, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB).
Bis zu diesem Zeitpunkt war indes beim Familiengericht keine formgerechte Beschwerdeschrift eingegangen. Die am 16. August 2022 erfolgte Übermittlung einer Beschwerdeschrift als elektronisches Dokument entsprach der gesetzlich vorgeschriebenen Form nicht. Sie vermochte es daher auch nicht, die Beschwerdefrist zu wahren.
Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 FamFG können Anträge und Erklärungen der Beteiligten zwar als elektronisches Dokument übermittelt werden. Wird die Beschwerde - wie hier - durch einen Rechtsanwalt eingelegt, ist die Rechtsmittelschrift nach § 14b Abs. 1 Satz 1 FamFG sogar zwingend als elektronisches Dokument zu übermitteln.
Für das entsprechende elektronische Dokument gelten § 130a ZPO, die auf dieser Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen sowie § 298 ZPO entsprechend (§ 14 Abs. 2 Satz 2 FamFG). Infolgedessen ist Voraussetzung eines formgerechten Einlegens der Beschwerde mittels eines elektronischen Dokuments, dass dieses entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen (§ 130a Abs. 3 Alt. 1 ZPO) oder aber von der verantwortenden Person (einfach) signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht (§ 130a Abs. 3 Alt. 2 ZPO) worden ist. Die am 16. August 2022 übermittelte Beschwerdeschrift erfüllt diese Anforderungen nicht.
Hier wurde die Beschwerdeschrift zwar als elektronisches Dokument übermittelt. Ausweislich des entsprechenden - bei den Akten des Familiengerichts befindlichen - Prüfvermerks wurde das Dokument allerdings nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen.
Darüber hinaus wurde das betreffende Dokument ausweislich des Prüfvermerks auch nicht "aus einem besonderen Anwaltspostfach" (§ 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO), sondern "per EGVP" versandt. Dies bedeutet nach den dem Senat vorliegenden Informationen des Ministeriums der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz zum Prüfvermerk, dass kein sicherer Übermittlungsweg im Sinne von § 130a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 ZPO vorliegt. Entweder handelt es sich bei dem Absenderpostfach nämlich um ein "einfaches" Postfach (d.h. dessen Inhaber wurde bei der Registrierung nicht identifiziert) oder die Nachricht wurde aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach verschickt und die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt war nicht sicher an ihrem bzw. seinem besonderen elektronischen Anwaltspostfach angemeldet oder eine andere Person hat die Nachricht aus dem entsprechenden besonderen elektronischen Anwaltspostfach versandt.
Bei einer derartigen Übermittlung handelt es sich indes gerade nicht um eine solche auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 130a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 ZPO. Dies wird schon daraus deutlich, dass § 4 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung - ERVV) ausdrücklich gerade zwischen einem sicheren Übermittlungsweg einerseits (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 ERVV) und der Übermittlung an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) des Gerichts über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht, andererseits (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV) unterscheidet. Hintergrund dieser Regelung ist gerade der Umstand, dass ein sich...