Leitsatz (amtlich)
Ein zu Beginn der Hauptverhandlung im Sitzungssaal zufällig anwesender und sodann zum Pflichtverteidiger bestellter Anwalt, dessen Verteidigertätigkeit noch während der Hauptverhandlung endet, erhält aus der Staatskasse neben der Terminsgebühr Nr. 4108 VV RVG keine Verfahrensgebühr Nr. 4106, Nr. 4107 VV RVG.
Normenkette
RVG VV Nrn. 4106-4108
Verfahrensgang
LG Koblenz (Beschluss vom 28.09.2004; Aktenzeichen 9 Qs 185/04) |
AG Koblenz (Beschluss vom 17.09.2004; Aktenzeichen 2030 Js 42726/04) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Staatskasse werden der Beschluss der 9. Strafkammer des LG Koblenz vom 28.9.2004 und der Beschluss des Strafrichters beim AG Koblenz vom 17.9.2004 aufgehoben.
Der Festsetzungsbescheid der Rechtspflegerin beim AG Koblenz vom 25.8.2004 wird dahin abgeändert, dass die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung des Rechtsanwalts für seine Tätigkeit als bestellter Verteidiger des früheren Angeklagten im Verfahren vor dem AG Koblenz auf 470,96 Euro (vierhundertsiebzig Euro und sechsundneunzig Cent) festgesetzt wird.
Gründe
I.1. Mit Anklageschrift zum Strafrichter beim AG Koblenz vom 27.7.2004 legte die Staatsanwaltschaft dem damals in Untersuchungshaft befindlichen und inzwischen im beschleunigten Verfahren gem. §§ 417 f. StPO rechtskräftig verurteilten ... 2 Straftaten zur Last. Zu Beginn der Hauptverhandlung vom 8.8.2004 um 9:30 Uhr war im Sitzungssaal Rechtsanwalt ... anwesend, der zum Verteidiger bestellt wurde. Nach kurzer Verhandlung - die Sitzung war um 10:10 Uhr beendet - wurde ..., der wie schon im Ermittlungsverfahren geständig war, entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Unmittelbar nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung wurde allseits Rechtsmittelverzicht erklärt.
2. Mit Schriftsatz vom 10.8.2004 beantragte Rechtsanwalt ... die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen in Höhe insgesamt 629,88 Euro. U.a. machte er eine Verfahrensgebühr (mit "Haftzuschlag") nach Nr. 4107 VV RVG (137 Euro zzgl. MwSt) geltend.
3. Nach antragsgemäßer Festsetzung durch die Rechtspflegerin beim AG Koblenz am 25.8.2004 legte der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse Erinnerung ein, "soweit die Gebühr nach Nr. 4107 VV RVG zuerkannt ist." Zu Begründung führte er aus, eine gebührenauslösende Tätigkeit außerhalb der Hauptverhandlung sei nicht ersichtlich. In seiner Stellungnahme vom 10.9.2004 verwies Rechtsanwalt hinsichtlich seiner "Tätigkeitsentfaltung" lediglich auf das Hauptverhandlungsprotokoll. Nachdem die Rechtspflegerin der Erinnerung nicht abgeholfen hatte, wies der Strafrichter mit Beschl. v. 17.9.2004 den Rechtsbehelf als unbegründet zurück und ließ wegen grundsätzlicher Bedeutung der zur Entscheidung anstehenden Frage die Beschwerde zu (§§ 33 Abs. 3 S. 2, 56 Abs. 2 S. 1 RVG).
4. Die Beschwerde des Bezirksrevisors hat der Einzelrichter beim LG Koblenz mit Beschluss vom 28.9.2004 als unbegründet verworfen. Zugleich hat er gem. §§ 33 Abs. 6 S. 1, 56 Abs. 2 S. 1 RVG die weitere Beschwerde zugelassen. Zur Begründung hat er ausgeführt:
"Die Verfahrensgebühr gem. Nr. 4106 VV RVG ist im vorliegenden Fall neben der Terminsgebühr gem. Nr. 4108 VV RVG angefallen.
Durch die Verfahrensgebühr werden alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts im gerichtlichen Verfahren abgegolten, soweit dafür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Besondere Gebühren sind ggf. die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV, wenn der Rechtsanwalt erst während des gerichtlichen Verfahrens beim AG beauftragt wird, und die Terminsgebühren, und zwar vor allem die für eine Hauptverhandlung vor dem AG (Nr. 4108 VV), sowie außerdem die Terminsgebühren der Nrn. 4102 VV (Buhrhoff, RVG, 1. Aufl., Nr. 4106 VV Rz. 3).
Hingegen erfasst die amtsgerichtliche Terminsgebühr die 'Teilnahme an' gerichtlichen Hauptverhandlungsterminen. Dies umfasst auch die Vorbereitung des konkreten Hauptverhandlungstermins (Buhrhoff, RVG, 1. Aufl., Nr. 4108 1 Rz. 4, 5).
Dabei erfasst die Verfahrensgebühr sämtliche Tätigkeiten des Verteidigers während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens. Dieses beginnt nach dem Ende des vorbereitenden Verfahrens und im vorliegenden Fall daher mit dem Eingang der Anklageschrift bei Gericht; es endet mit dem Abschluss des ersten Rechtszugs, nicht jedoch bereits mit dem Ende der Hauptverhandlung (Buhrhoff, RVG, 1. Aufl., Nr. 4106 Rz. 6).
Als allgemeine Tätigkeiten werden von der gerichtlichen Verfahrensgebühr im ersten Rechtszug vor dem AG u.a. die Tätigkeit im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung, die Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels sowie das Tätigwerden im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens erfasst (Buhrhoff, RVG, 1. Aufl., Nr. 4106 VV Rz. 7). Alle diese Tätigkeiten hat Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten entfaltet.
Dabei spielt es keine Rolle, dass seine Bestellung als Pflichtverteidiger sowie die offensichtlich erfolgte Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels - am Ende...