Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 16 O 17/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 16. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Koblenz vom 20.10.2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das vorbezeichnete Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 95.844,54 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Senat hat gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO mit Hinweisbeschluss vom 20.04.2023 (Blatt 201 ff. eAkte OLG) darauf hingewiesen, dass die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordern und die Berufung auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Hinweisbeschluss Bezug.
Die Klägerin hat innerhalb der verlängerten Stellungnahmefrist mit Schriftsatz vom 25.05.2023 (Bl. 220 ff. eAkte OLG) der Zurückweisung der Berufung in Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO widersprochen. Zur Begründung verweist sie auf die mündliche Verhandlung des VIa. Senats des Bundesgerichtshofs vom 08.05.2023 in den Verfahren VIa ZR 533/21, VIa ZR 1031/22 und VIa ZR 335/21 und die für den 26.06.2023 avisierten Entscheidungen. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 - C-100/21 reiche zur Begründung eines Ersatzanspruchs gemäß § 823 Abs. 2 BGB aus, dass eine Abschalteinrichtung wie ein Thermofenster nach den unionsrechtlichen Vorschriften unzulässig sei. Es genüge ein einfacher Fahrlässigkeitsvorwurf, Vorsatz oder sittenwidriges verwerfliches Handeln sei nicht mehr erforderlich. Im Fahrzeug der Klägerin sei ein Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Es gebiete der Effektivitätsgrundsatz, jedes schuldhafte (fahrlässige oder vorsätzliche) Handeln von Fahrzeugherstellern in Bezug auf das Vorliegen einer Abschalteinrichtung dadurch zu sanktionieren, dass der Erwerber einen deliktischen Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller geltend machen könne. Der Bundesgerichtshof habe in der Verhandlung am 08.05.2023 deutlich gemacht, den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs folgen zu wollen. Die Klägerin könne deshalb jedenfalls den Differenzhypothesenvertrauensschadensersatz beanspruchen, der mit 10 % des Kaufpreises zu bemessen sei.
Die Klägerin beantragt für den Fall der Erfolglosigkeit des Antrags zu 1) zusätzlich,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 9.584,54 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Außerdem regt sie an, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs am 26.06.2023 abzuwarten.
II. Die Berufung war aus den Gründen des Hinweisbeschlusses vom 20.04.2023 zurückzuweisen. Die Ausführungen der Klägerin geben dem Senat zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass.
Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten folgen weiterhin weder aus §§ 826, 31 BGB (1.) noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. mit §§ 6, 27 EG-FGV (2.). Es bleibt auch dabei, dass das Landgericht die Klage bezüglich der Nebenforderungen und der weiteren Anträge zu Recht abgewiesen hat (3.). Auch dem Hilfsantrag bleibt der Erfolg versagt (4.).
1. Ein Anspruch folgt nicht aus §§ 826, 31 BGB.
Der Senat hat unter Ziffer II. 1 des Hinweisbeschlusses im Einzelnen ausgeführt, warum ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht besteht. Dagegen bringt die Gegenerklärung nichts vor.
2. Der Klägerin steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. mit §§ 6, 27 EG-FGV zu.
a) Zwar hat der Europäische Gerichtshof zwischenzeitlich mit Urteil vom 21.03.2023, C-100/21, klargestellt, dass Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 ein individualschützender Charakter zukommt, die Norm mithin ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen kann.
Jedoch ist weder ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten (b)), noch ein Schaden der Klägerin dargetan (c)).
b) Die Beklagten trifft kein Fahrlässigkeitsvorwurf, es fehlt insbesondere am Tatbestandsmerkmal der Erkennbarkeit der Schutzgesetzverletzung.
aa) Voraussetzung für eine deliktische Haftung wäre, auch bei Schutzgesetzen ohne einen subjektiven Tatbestand, dass die Beklagte schuldhaft handelte. Dabei gilt der Verschuldensbegriff des § 276 BGB (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Aufl. 2023, § 823 Rn. 61; MüKo/Wagner, BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 Rn. 51). Fahrlässig handelt danach, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt (§ 276 Abs. 2 BGB). Fahrlässigkeit setzt sowohl Voraussehbarkeit als auch Vermeidbarkeit des pflichtwidrigen Erfolgs voraus, d. h. die Beklagte handelte nur dann fahrlässig, wenn sie die Rec...