Leitsatz (amtlich)

1. Ein Angriff bleibt gegenwärtig im Sinne des § 32 Abs 2 StGB, solange die Gefahr einer Rechtsgutverletzung oder deren Vertiefung andauert und noch abgewendet werden kann; er dauert fort, wenn eine Wiederholung einer Verletzungs- oder Angriffshandlung unmittelbar zu befürchten ist.

2. Verteidigungswillen als subjektives Rechtsfertigungselement der Notwehr erfordert, dass der Täter den Angriff als solchen und seine Rechtswidrigkeit erkennt; hinzutretende andere Tatmotive - wie etwa Wut oder der Wunsch, dem Angreifer "einen Denkzettel zu verpassen" - schließen dies nicht aus, solange diese den Verteidigungszweck nicht völlig in den Hintergrund drängen.

3. Der Angegriffene darf sich grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, welches er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwaren lässt. Dabei ist auch der Einsatz lebensgefährlicher Mittel erlaubt, wenn weniger gefährliche Mittel nicht zur Verfügung stehen oder deren Verteidigungswirkung zweifelhaft ist; androhen muss der Angegriffene den Einsatz lebensgefährlicher Mittel in der Regel nur, wenn der Angreifer unbewaffnet und ihm die Bewaffnung des Angegriffenen unbekannt ist.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Entscheidung vom 13.03.2010)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 13. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 31. März 2010 aufgehoben. Der Angeklagte wird freigesprochen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I. 1. Durch Urteil vom 17. Juli 2008 verurteilte das Amtsgericht Montabaur den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

2. Mit dem angegriffenen Urteil vom 31. März 2010, zugestellt am 20. April 2010, hat die 13. kleine Strafkammer des Landgerichts Koblenz die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe auf 6 Monate herabgesetzt wird.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Nebenkläger den Angeklagten bereits im Jahre 2006 aus nichtigem Anlass geohrfeigt; seit diesem Vorfall war es immer wieder zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen beiden gekommen. Am frühen Abend des 22. Februar 2007 trafen beide vor dem A.-Supermarkt in M. aufeinander, wo es wieder zu einer verbalen Auseinandersetzung mit wechselseitigen Beleidigungen kam. Daraufhin entfernten sich der Angeklagte und seine Begleiterin, die Zeugin G., um der weiteren Auseinandersetzung aus dem Weg und nach Hause zu gehen. Der Nebenkläger folgte ihnen jedoch mit seinem Pkw, um den Angeklagten zur Rede zu stellen und gegebenenfalls tätlich anzugreifen. Als er ihn im Bereich der F-Straße erreichte, stieg er aus seinem Fahrzeug aus, ging auf den Angeklagten von hinten zu und rief diesen an. Daraufhin wappnete sich der Angeklagte, weil er einen ähnlichen tätlichen Übergriff des Nebenklägers wie 2006 befürchtete, indem er die Einkaufstaschen abstellte, ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 6,5 cm öffnete und sich zu dem Nebenkläger umdrehte. Als der Nebenkläger den Angeklagten erreichte, schlug er diesem sofort mit der linken Hand ins Gesicht, wodurch der Angeklagte eine klaffende und blutende Wunde erlitt. Ob der Nebenkläger hierbei etwas in der Hand hielt, konnte nicht näher ermittelt werden. Unmittelbar nachdem er den schmerzhaften Schlag ins Gesicht erhalten hatte, stach der Angeklagte dem Nebenkläger durch dessen Kleidung hindurch mit dem Messer in den linken Unterbauch. Der Nebenkläger erlitt hierdurch eine ca. 1 cm große, blutende Stichwunde, wobei sich um die Einstichstelle herum ein Hämatom bildete; wegen dieser Verletzung musste er stationär behandelt werden. Nach dem Messerstich endete die Auseinandersetzung.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB verurteilt und hierbei einen minder schweren Fall angenommen. Das Vorliegen von Notwehr hat das Landgericht verneint; es hat schon den Verteidigungswillen des Angeklagten in Abrede gestellt, darüber hinaus aber auch seine Verteidigungshandlung als unverhältnismäßig und nicht mehr erforderlich angesehen. Auch die Voraussetzungen des § 33 StGB hat das Landgericht nicht als gegeben angesehen.

3. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte unter dem 1. April 2010 Revision eingelegt und dieses Rechtsmittel unter dem 5. Mai 2010 näher begründet. Er ist der Auffassung, er habe sich in Notwehr rechtmäßig verteidigt und rügt insoweit die Verletzung materiellen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II. Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Revision hat in der Sache Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten kann keinen Bestand haben. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Strafkammer war sein Handeln durch Notwehr gemä...

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