Leitsatz (amtlich)
Biegen an einer ampelgesteuerten mehrspurigen Kreuzung sich entgegenkommende Fahrzeuge jeweils in die gleiche dreispurige Straße ab, wobei der Linksabbieger die linke der drei Fahrspuren ansteuert, während der zeitgleich abbiegende Rechtsabbieger ebenfalls diese linke Fahrspur (also aus seiner Fahrtrichtung die dritte Spur) ansteuert, muss auch der grundsätzlich vorfahrtsberechtigte Rechtsabbieger wegen dieses mehrfachen Spurwechsels nach dem allgemeine Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO darauf achten, ob die angesteuerte Fahrspur überhaupt frei ist.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 10 O 292/20) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 22.07.2021, Az.: 10 O 292/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 07.12.2021.
Gründe
Das Landgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass der Verkehrsunfall sowohl von dem Kläger als auch von der Beklagten zu 1. verursacht worden sei. Die jeweiligen Verursachungsbeiträge seien hierbei gleich groß zu bewerten. Das Landgericht hat insoweit eine hälftige Schadensverteilung vorgenommen.
Dies und hierbei insbesondere die von dem Landgericht durchgeführte Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden.
Der Senat hat bei seiner Entscheidung die von dem Landgericht festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte, Zweifel an der Richtig- und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Dieser Maßstab gilt auch für die Beanstandungen der Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts. Auch insofern müssen mit der Berufung schlüssig konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt werden, die Zweifel an den erhobenen Beweisen aufzeigen, so dass sich eine erneute Beweisaufnahme gebietet (OLG Koblenz in r+s 2011, 522). Solche Zweifel setzen voraus, dass aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle der nochmaligen Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden (BGH VI ZR 230/03, Urteil vom 08.06.2004, juris; BGH VI ZR 361/02, Urteil vom 15.07.2003, juris). Vorliegend sind keine Fehler des Landgerichts bei der erfolgten Würdigung der erhobenen Beweise erkennbar, so dass hier nicht davon ausgegangen werden kann, dass die erstinstanzlichen Feststellungen bei Wiederholung der Beweisaufnahme keinen Bestand haben würden. Die zugegeben (sehr) kurz gehaltene Beweiswürdigung der Einzelrichterin ist jedenfalls in ihrem Ergebnis nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Sie verstößt nicht gegen Denk-, Natur- oder Erfahrungssätze und ist insgesamt auch nach der eigenen Würdigung des Senats in der Sache zutreffend.
Das Landgericht geht nach durchgeführter Beweisaufnahme davon aus, dass der Unfall sich dergestalt ereignet hat, dass sich der Kläger nach dem von ihm durchgeführten Abbiegevorgang nach links wieder in Geradeausfahrt auf dem linken von drei Fahrstreifen befand und die Beklagte zu 1. ihren Abbiegevorgang nach rechts über mehrere Fahrspuren (von rechts nach links) vollzog und schließlich auf der linken Fahrspur mit dem dort befindlichen Pkw des Klägers kollidierte. Das Landgericht ist zu diesen Feststellungen insbesondere aufgrund der überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. H. in der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2021 gelangt. Weiter hat sich das Landgericht erkennbar von den Angaben des Klägers - die Beklagte zu 1. mochte bei ihrer persönlichen Anhörung "nichts weiter sagen" - in der mündlichen Verhandlung vom 28.05.2021 leiten lassen. Dies ist von dem Senat nicht zu beanstanden. § 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Dies bedeutet, dass der Richter lediglich an die Denk-, Natur- und Erfahrungssätze gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. Der Vorgang der Überzeugungsbildung ist insoweit auch nicht von objektiven Kriterien oder Wahrscheinlichkeitsberechnungen abhängig (BGH in NJW 1989, 3161), sondern beruht auf dem Erfahrungswissen und dem Judiz des erkennenden Richters (Zöller/Greger, ZPO, 32. Auflage, § 286 Rdnr. 13). Die obigen Feststellungen zum Unfallablauf spiegeln die in der mündlichen Verhandlung von der Einzelrichterin gewonnene Überzeugung wider und sind Ergebnis ihres Erfahrungswissens und ihres Judiziums (siehe insoweit oben).
Dies...