Leitsatz (amtlich)
1. Kommt es anlässlich einer sog. Touristenfahrt auf der Nordschleife des Nürburgrings zu einem Verkehrsunfall, weil ein Fahrzeugführer - ohne dass ihm ein konkretes Verschulden vorgeworfen werden kann - auf einer Betriebsmittelspur, die ein anderes Fahrzeug hinterlassen hat, die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert und in die Leitplanke prallt, ist dem verunfallten Fahrzeug im Rahmen der gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden "Haftungsverteilung" ein Mithaftungsanteil von 25 % zuzuweisen.
2. Da im Rahmen solcher Touristenfahrten beim zu zügigen (sportlichen) Fahren ein Kontrollverlust über das Fahrzeug droht, hingegen beim langsamen (vorsichtigen) Fahren die Gefahr besteht, dass es zu Auffahrunfällen mit sich von hinten "im Rennmodus" nähernden Fahrzeugen kommt, ist die Betriebsgefahr eines die Nordschleife des Nürburgrings befahrenden Fahrzeugs aufgrund der gefahrenträchtigen Örtlichkeit sowie der gefahrträchtigen Verkehrssituation als generell erhöht anzusehen.
3. Erleidet ein Fahrzeug anlässlich der Teilnahme an einer solchen Touristenfahrt einen Betriebsmittelverlust, ist in der Regel nur von einem "einfachen" Verschulden des Fahrzeugführers auszugehen.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 10 O 39/20) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 03.11.2022, Az.: 10 O 39/20, gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 10.02.2023.
Gründe
Das Landgericht hat der Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung (lediglich) in erkanntem Umfang stattgegeben.
Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger (ausschließlich) dagegen, dass das Landgericht ihm bei der gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden "Haftungsverteilung" einen Mithaftungsanteil von 25 % zugewiesen hat. Der Kläger vertritt insoweit die Auffassung, in Bezug auf seinen Pkw sei lediglich von einer einfachen und nicht von einer erhöhten Betriebsgefahr auszugehen. Diese würde hinter dem, von dem Landgericht festgestellten schuldhaften Verhalten des Beklagten zu 1. vollständig zurücktreten. Dem folgt der Senat nicht.
Die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs besteht in der Gesamtheit der Umstände, die, durch die Eigenart als Kraftfahrzeug begründet, Gefahr in den Verkehr tragen (mit zahlreichen Nachweisen Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, § 17 StVG Rdnr. 6). Zu unterscheiden sind hierbei die sogenannte einfache Betriebsgefahr, die im Ergebnis jedem Fahrzeug innewohnt und die erhöhte Betriebsgefahr. Erhöht ist die Betriebsgefahr, wenn die Gefahren, die regelmäßig und notwendigerweise mit dem Kraftfahrzeugbetrieb verbunden sind, durch das Hinzutreten besonderer unfallursächlicher Umstände vergrößert werden (BGH VI ZR 352/03, Urteil vom 11.01.2005, juris; BGH VI ZR 126/99, Urteil vom 27.06.2000, juris). Solche besonderen unfallursächlichen Umstände können sich sowohl aus dem Verhalten des Fahrers (schuldhafter Verstoß gegen Verkehrsregeln; gefährliche Fahrmanöver), als auch aus der befahrenen Örtlichkeit (besondere Straßenverhältnisse) an sich bzw. der an der Örtlichkeit herrschenden Verkehrssituation (extreme Dunkelheit; unübersichtliche Verkehrslage) ergeben (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 45. Auflage, § 17 StVG Rdnr. 11).
Der streitgegenständliche Unfall ereignete sich während einer sogenannten "Touristenfahrt" des Zeugen J. bzw. des Beklagten zu 1. auf der Nordschleife des Nürburgrings, also der alten Grand Prix-Strecke. Dem Senat, der eine Spezialzuständigkeit für Verkehrsunfallsachen besitzt, ist aus zahlreichen anderen Verfahren die außerordentlich hohe Gefahrenträchtigkeit des Befahrens der Nordschleife des Nürburgrings, dies gerade auch im Rahmen von sogenannten Touristenfahrten, bekannt (exemplarisch: OLG Koblenz 12 U 1571/20, Beschluss vom 05.01.2021, juris; OLG Koblenz 12 U 731/16, Urteil vom 27.03.2017). Diese ganz erheblich erhöhte Gefahrenträchtigkeit ergibt sich unter anderem aus dem, den Senat bereits vielfach beschäftigenden Umstand, dass es auf der Nordschleife des Nürburgrings nahezu regelmäßig zum Austritt von Betriebsmitteln und damit verbundenen Gefährdungen nachfolgender Fahrzeuge kommt. So hat der Senat in dem Verfahren 12 U 731/16 in seinem Urteil vom 27.03.2017 unter anderem ausgeführt, dass im Bereich der Nordschleife des Nürburgrings immer mit Betriebsmitteln zu rechnen sei. Auch beinhalten sowohl das auf der Nordstrecke anzutreffende zügige bzw. "sportliche" Fahren, als auch ein besonders langsames vorsichtiges Fahren - jedenfalls dort - erhebliche Gefahrenpotentia...