Leitsatz (amtlich)
Besteht zwischen einem 16-järigen Kind und dem nicht die Obhut über dieses ausübenden Elternteils keinerlei Kontakt und Kommunikation, ist es diesem Elternteil mangels der Möglichkeit, sich einen persönlichen Eindruck von den Wünschen und Belangen des Kindes zu verschaffen, regelmäßig nicht möglich, die elterliche (Mit-)Sorge zum Wohle des Kindes auszuüben.
Normenkette
BGB § 1626 Abs. 2, § 1671 Abs. 1, § 1697a
Verfahrensgang
AG Neuwied (Aktenzeichen 17 F 13/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Neuwied vom 05.11.2019 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die angefochtene Entscheidung, mit welcher das Familiengericht die elterliche Sorge für den 16-jährigen M. auf die Kindesmutter übertragen hat, ist auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens rechtlich nicht zu beanstanden.
1. Der Senat entscheidet über das offenkundig unbegründete Rechtsmittel zur Vermeidung unnötiger Mehrkosten für den Antragsgegner ohne vorherige Zustellung der Rechtsmittelschrift und ohne erneute mündliche Anhörung der Beteiligten. Das Familiengericht hat Letztere, einschließlich des betroffenen Kindes und des diesem bestellten Verfahrensbeistands, erst vor kurzem ausführlich durchgeführt. Der Senat verspricht sich daher - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - von einer erneuten Anhörung keine weitergehenden Erkenntnisse.
Das Beschwerdegericht ist auch verfassungsrechtlich oder nach Art. 8 EMRK nicht gehalten, einen Anhörungstermin durchzuführen, wenn - wie hier - das Amtsgericht bereits alle notwendigen Ermittlungen fehlerfrei (vgl. BGH FamRZ 2011, 805) durchgeführt hat und weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, welchen weiteren Erkenntnisgewinn die erneute mündliche Anhörung der Beteiligten im Beschwerdeverfahren hätte haben können (vgl. BVerfG FamRZ 2016, 1917, 1921 und EuGHMR FamRZ 2018, 350). Dies ist selbst gegen den ausdrücklich erklärten Willen eines Beteiligten zulässig (BGH FamRZ 2017, 1668).
Die Beschwerdeangriffe des Kindesvaters lassen sich aufgrund des Ergebnisses der bisherigen Ermittlungen sowie der schriftsätzlichen Stellungnahmen ausreichend beurteilen. Sie greifen rechtlich nicht durch.
2. Zwischen den geschiedenen Kindeseltern besteht Streit über die elterliche Sorge. Hiernach erfordert die angefochtene Übertragung der Alleinsoge auf die Kindesmutter zunächst überhaupt einen Bedarf für die Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts und sodann die Feststellung, dass die vorgenommene Einräumung der alleinigen elterlichen Sorge durch die Kindesmutter dem Kindeswohl am besten entspricht, § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 4 BGB.
Diese Voraussetzungen hat das Familiengericht jeweils zutreffend angenommen.
a) Die Auflösung der gemeinsamen Sorge war hier erforderlich.
Weder besteht zwischen den Kindeseltern eine tragfähige Beziehung und Kommunikation noch ist eine solche zwischen dem Kindesvater und dem sechzehnjährigen M. gegeben. Dem Kindesvater, bei dem M. seit geraumer Zeit nicht mehr lebt, ist es daher schon rein faktisch nicht ausreichend möglich, mit einer gemeinsamen elterlichen Sorge verbundene Entscheidungen zum Wohle des Kindes zu treffen. Während er sich für eine Entscheidungsfindung erforderliche Informationen unter Umständen noch von Dritten - wie z.B. die Schule oder Ärzten - verschaffen könnte, ist bereits ein Austausch- und Entscheidungsfindungsprozess mit der Kindesmutter mangels bestehender ausreichender Kommunikation nicht möglich.
Vor allem aber kann sich der Kindesvater keinen persönlichen Eindruck von den Wünschen und Belangen des Kindes verschaffen, da M. jedweden solchen Kontakt mit seinem Vater ablehnt. Hierdurch ist der Kindesvater - ähnlich § 1674 Abs. 1 BGB - rein faktisch gehindert, die gemeinsame elterliche Sorge zum Wohle seines Sohnes ausüben zu können. Denn gemäß § 1626 Abs. 2 BGB sind bei den für M. zu treffenden Entscheidungen dessen aufgrund seines Alters wachsende Fähigkeit und wachsendes Bedürfnis zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen; anstehende Entscheidungen sind mit dem Kind zu besprechen und ein Einvernehmen ist mit dem Kind anzustreben.
Das Familiengericht hat einen erfolglosen Versuch bei der Lebensberatung unternommen, Vater und Sohn zumindest wieder in der Art zusammen zu bringen, dass der Antragsgegner in die Lage versetzt wird, den im Falle einer Mitsorge bestehenden Anforderungen nach § 1626 Abs. 2 BGB nachkommen zu können. Der Grund des Scheiterns kann dabei für die Frage nach der Notwendigkeit einer sorgerechtlichen Regelung dahinstehen. Denn maßgeblich ist insoweit allein, ob der Antragsgegner objektiv in der Lage ist, die elterliche Sorge zum Wohle seines Sohnes auszuüben. Besteht zwischen Elternteil und Kind kein Kontakt bzw. kein Austausch, mag dies bei einem jüngeren Kind angesichts bei diesem mehr an objektiven Maß...