Leitsatz (amtlich)
Die Abwägung nach § 1671 BGB hat sich nicht an einer Sanktion eines etwaigen Fehlverhaltens eines Elternteils, sondern an den Auswirkungen der zu treffenden Sorgerechtsentscheidung auf das Kindeswohl zu orientieren (BVerfG FamRZ 2007, 1626 und FamRZ 2009, 189).
Eine eigenmächtige Trennung des Kindes vom anderen Elternteil bzw. ein eigenmächtiger Wegzug des betreuenden Elternteils mit dem Kind können daher, ebenso wie Partnerschaftsgewalt, nicht als solche, sondern nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie Rückschlüsse auf eine konkrete Einschränkung der Erziehungsfähigkeit des betroffenen Elternteils zulassen. Damit gebietet ein unter Missachtung der Mitsorge des anderen Elternteils herbeigeführter Ortswechsel nur dann die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf diesen Elternteil, wenn konkret festgestellt werden kann, dass der herbeigeführte Ortswechsel aktuell das Wohl des Kindes beeinträchtigt.
Bei einer nur vorläufigen Regelung sind im Übrigen auch die Folgen eines mehrfachen Obhutswechsels zu berücksichtigen, die für das Kind im Falle einer abweichenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren eintreten würden (BVerfG FamRZ 2009, 676).
Normenkette
BGB § 1671 Abs. 1; FamFG § 49
Verfahrensgang
AG Idar-Oberstein (Aktenzeichen 813 F 489/23) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Idar-Oberstein vom 27.11.2023, Aktenzeichen 813 F 489/23 eA, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.
4. Der Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragstellers für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
5. Der Antragsgegnerin wird für das Beschwerdeverfahren mit Wirkung ab dem 18.01.2024 Verfahrenskostenhilfe ohne Zahlungsanordnung bewilligt. Ihr wird Rechtsanwalt Kirchhoff zur Vertretung in diesem Verfahren beigeordnet.
Gründe
I. Die Beteiligten sind bereits seit 2019 getrenntlebende Eheleute und Eltern der Kinder M. und E. Nachdem die Antragsgegnerin Anfang Oktober 2023 unter Mitnahme der Kinder zu ihrer Schwester nach P. verzogen war, streiten die Eltern über deren Lebensmittelpunkt. Der Antragsteller forderte, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen, da die Kinder bis zum plötzlichen Umzug der Antragsgegnerin ihren Lebensmittelpunkt in I. hatten, dort in Schule und Kindergarten integriert waren und nahezu täglich Umgang mit ihm als Vater hatten.
Im Zuge seiner Ermittlungen hat das Amtsgericht den Kindern einen Verfahrensbeistand bestellt, die Beteiligten einschließlich der Kinder am 18.10.2023 persönlich angehört sowie die von der Antragsgegnerin als Bedrohung ihrer Person interpretierten Sprachnachrichten im Anschluss an den Anhörungstermin zur Kontrolle übersetzen lassen. Auf den hierüber aufgenommenen Vermerk wird Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat die beantragte einstweilige Anordnung abgelehnt und stattdessen der Antragsgegnerin auf deren Antrag vom 16.10.2023 mit dem angefochtenen Beschluss das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie - als Annex - auch das Recht zur Regelung der Schul- und Kindergartenangelegenheiten für die gemeinsamen Kinder vorläufig übertragen.
Im zugehörigen Hauptsacheverfahren 813 F 494/23 wurde die Einholung eines familienpsychologischen Gutachtens angeordnet. Weiter hat das Amtsgericht von Amts wegen unter dem Aktenzeichen 813 F 524/23 ein Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts des Antragstellers eingeleitet.
Das Amtsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Kinder unter dem plötzlichen Umzug der Mutter augenscheinlich nicht litten und sich in der neuen Umgebung bereits gut eingefunden hätten. Zwar sei der Vater ebenfalls eine wichtige Bezugsperson für die Kinder, die alltäglichen Versorgungs- und Erziehungsaufgaben habe aber anscheinend bisher überwiegend die Mutter wahrgenommen. Eine Kindeswohlgefährdung sei daher mit dem Umzug nach P. nicht verbunden. Jedoch bedürfe die Erziehungseignung beider Eltern im Hinblick auf die behauptete mangelnde Bindungstoleranz der Mutter sowie die behauptete Gewalttätigkeit des Vaters im Hauptsacheverfahren noch näherer Überprüfung. Auch sei der Umgang des Vaters mit den Kindern regelungsbedürftig.
Mit seiner am 29.11.2023 eingelegten Beschwerde begehrt der Antragsteller, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung ihm das vorläufige Aufenthaltsbestimmungsrecht für Kinder zu übertragen sowie deren Herausgabe an ihn anzuordnen.
Er macht geltend,
die Mutter habe ihm die Kinder rechtswidrig entzogen und blockiere seitdem systematisch jeden Kontakt. Er habe die Kinder jetzt bereits seit zwei Monaten nicht mehr gesehen. Die Mutter sei nicht bindungstolerant und versuche, ihm die Kinder zu entfremden. Die gegenüber seinem Schwiegervater in seiner ersten Verärgerung über den plötzlichen Wegzug der Antragsgegnerin getätigten Äußerungen in den Sprachnachrichten seien aus dem Zusammenhang gerissen und könnten die getroffene Entscheidung nicht rech...