Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verlust des Entschädigungsanspruchs des Gerichtssachverständigen bei Verstoß gegen die gerichtliche Leitungs- und Weisungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Soll wegen inhaltlicher Mängel eines gerichtlichen Gutachtens dessen Vergütung versagt, gekürzt oder gar zurückgefordert werden, ist es unerlässlich, dem Sachverständigen vorher Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

2. Beruht die Unbrauchbarkeit des Gutachtens darauf, dass eine Ortsbesichtigung unterblieben ist, rechtfertigt das nicht die Versagung der Entschädigung, wenn der Sachverständige das Erfordernis örtlicher Feststellungen mit vertretbaren Erwägungen verneint hat und das Gericht hiernach unter Nichtbeachtung von § 404a ZPO davon absieht, dem Gutachter eine gegenläufige Weisung zu erteilen.

3. Dass ein Sachverständiger gerichtliche Beweisfragen im Endergebnis nicht beantwortet hat, kann bei schwierigen und komplexen Fachfragen plausibel sein. Gegebenenfalls rechtfertigt das nicht die Versagung einer Entschädigung.

 

Normenkette

JVEG §§ 1, 4, 8; GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 404, 404a, 407a; BGB §§ 276, 675

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Beschluss vom 17.03.2008; Aktenzeichen 15 O 428/03)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Sachverständiger Dr. Ing. ... wird der Beschluss der 15. Zivilkammer des LG Koblenz vom 17.3.2008 aufgehoben.

II. Der Antrag des Bezirksrevisors bei dem LG Koblenz, dem Sachverständigen eine Entschädigung zu versagen und die Rückforderung bereits gezahlter Beträge anzuordnen, wird abgelehnt.

III. Die Beschwerdeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Sachverständige gegen eine Entscheidung des LG, durch die ihm auf Antrag des Bezirksrevisors eine Entschädigung für seine Gutachten und deren Erläuterungen und Ergänzungen versagt worden ist. Außerdem wurde dem Sachverständigen die Rückerstattung bereits gezahlter Entschädigungsbeträge aufgegeben. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, die Arbeit des Sachverständigen sei in vorwerfbarer Weise insgesamt unbrauchbar.

Das beanstandet die Beschwerde mit Erfolg.

Die Ausgangsentscheidung ist unter Verletzung des Grundrechts des Sachverständigen auf rechtliches Gehör ergangen. Ebenso wie den Parteien des Rechtsstreits in der Hauptsache Gehör gewährt werden muss, hat ein Sachverständiger im Verfahren auf Entzug oder Einschränkung seiner Vergütung Anspruch darauf, sich vor der gerichtlichen Entscheidung zu äußern, um auf diese Weise den gravierenden Vorwurf, unsachgemäße oder gar völlig unbrauchbare Arbeit geliefert zu haben, ausräumen oder entkräften zu können. Der Antrag des Bezirksrevisors bei dem LG Koblenz vom 3.3.2008 musste zwingend zunächst dem Sachverständigen zur Stellungnahme zugeleitet werden, damit er zu dem Vorwurf Stellung nehmen konnte. Von einer Unterrichtung des Sachverständigen durfte das LG nur absehen, wenn es den Antrag abgelehnt hätte. Das lag angesichts der floskelhaften Antragsbegründung mit dem bloßen Verweis auf vermeintlich einschlägige obergerichtliche Entscheidungen nahe. Die Anhörung des Sachverständigen ist wohl deshalb unterblieben, weil die Einzelrichterin zuvor den Antrag selbst dadurch veranlasst hatte, dass sie dem Bezirksrevisor unter Vorlage der Akten nahe brachte, die gesamte Arbeit des Sachverständigen sei unbrauchbar.

Der Verstoß gegen das Grundrecht des Sachverständigen auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist aber dadurch geheilt, dass der Sachverständige zwischenzeitlich in seinem an den Präsidenten des LG Koblenz adressierten Scheiben vom 9.4.2008 in der Sache eingehend und ersichtlich abschließend Stellung genommen hat.

Der angefochtene Beschluss musste aufgehoben werden. Der Antrag des Bezirksrevisors war abzulehnen. Nach Auffassung des Senats entbehrt die Auffassung des LG, sämtliche Leistungen des Sachverständigen seien in vorwerfbarer Weise unbrauchbar, einer tragfähigen Grundlage.

Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, dass es nicht Aufgabe des Verfahrens der Vergütungsfestsetzung ist, Sachverständigengutachten auf ihre Plausibilität oder gar auf ihre inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Eine Grenze ist erst dort zu ziehen, wo ein Sachverständigengutachten wegen inhaltlicher Mängel unverwertbar ist und der Sachverständige diese Unverwertbarkeit in vorwerfbarer Weise verursacht hat.

Das hat das LG mit Erwägungen bejaht, die der Senat nach Prüfung des gesamten Prozessstoffs nicht teilt. In der mündlichen Verhandlung vom 9.7.2004 (Bl. 74 GA) hatte die Beklagte, die später die Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen äußerst vehement kritisierte, selbst erklärt, die Anlage könne

"so nicht von einem Sachverständigen begutachtet werden".

Grund hierfür waren Umbaumaßnahmen der Beklagten nach Anlieferung und Einbau der vertraglich geschuldeten Anlage. Dem nachfolgenden Beweisbeschluss vom 30.7.2004 ist nicht zu entnehmen, dass das LG gleichwohl örtliche Feststellungen des Sachverständigen für erforderlich hielt. Auch erschließt sich a...

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