Leitsatz (amtlich)
1. Die mit Eintritt der Volljährigkeit des Kindes entfallende elterliche unterhaltsrechtliche Verfahrensstandschaft umfasst auch den Kindesunterhalt für die Zeit der Minderjährigkeit. Falls weder das volljährig gewordene Kind in das Unterhaltsverfahren eintritt noch der antragstellende Elternteil den Kindesunterhaltsantrag für erledigt erklärt oder diesen auf einen in seiner Person ggfls. entstandenen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch umstellt, ist der Antrag mangels Verfahrensführungsbefugnis insgesamt als unzulässig abzuweisen (Anschluss an BGH FamRZ 2013, 1378).
2. Der gesteigert Kindesunterhaltspflichtige ist auf die kostengünstigere Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. des Fahrrads zu verweisen, soweit diese zumutbar ist (hier abgelehnt bei mehr als doppelter Fahrtzeit und erforderlichem Verlassen der Wohnung 5 Uhr statt 6:15 Uhr).
3. Der Wohnwert ist bei einem gesteigert Kindesunterhaltspflichtigen grundsätzlich auch schon im Trennungsjahr mit der objektiven Marktmiete zu bemessen (Anschluss an: BGH FamRZ 2013, 1563 Rz. 16). Dies gilt nur dann nicht, wenn er sich um eine zeitnahe Veräußerung bemüht und diese durch eine Fremdvermietung nicht unerheblich erschwert würde (Anschluss an: BGH FamRZ 2014, 923).
4. Auch im Kindesunterhalt sind Kreditraten bis zur Höhe des Wohnwerts grundsätzlich nicht nur mit dem Zins-, sondern auch dem Tilgungsanteil beim Unterhaltspflichtigen einkommensmindernd zu berücksichtigen. Die Abzugshöhe bestimmt sich dabei auch dann nach dem objektiven Wohnwert, wenn - bspw. wegen beabsichtigter zeitnaher Veräußerung - einkommenserhöhend nur der Ansatz des sog. angemessenen Wohnwerts in Betracht kommt. Unabhängig hiervon ist es - insbesondere bei Gefährdung des Mindestunterhalts - nicht ausgeschlossen, vom Unterhaltspflichtigen eine Tilgungsstreckung oder bei bevorstehendem Verkauf sogar eine Tilgungsaussetzung zu verlangen (Anschluss an: BGH FamRZ 2022, 781).
5. Unterhaltspflichten gegenüber weiteren Unterhaltsberechtigten beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners grundsätzlich solange nicht, als er keinerlei Zahlungen leistet oder die Unterhaltsansprüche nicht zumindest tituliert sind (vgl. Senat FamRZ 2018, 1584). Im Wege einer Interessenabwägung gilt allerdings anderes, wenn der Unterhaltsantrag des weiteren Berechtigten lediglich aus formalen Gründen (z.B. aufgrund unzulässig gewordener Verfahrensstandschaft) abzuweisen ist, die Berechnungsgrundlagen des Unterhaltsanspruchs jedoch feststehen.
6. Trennungsschmerz und die Trauer oder psychische Beschwerden aufgrund des Zerbrechens der Familie führen nicht notwendigerweise zu einer krankheitsbedingt eingeschränkten Erwerbsfähigkeit. Es bedarf der konkreten Darlegung, wie sich die Trennung bzw. das Zerbrechens der Familie auf den Berufsalltag und die die arbeitstägliche Leistungsfähigkeit auswirken, vor allem unter dem Aspekt, dass Arbeit in dieser Situation durchaus auch Halt geben und eine Sinnhaftigkeit des Lebens vermitteln kann.
7. Zur Durchführung einer sozialhilferechtlichen Vergleichsberechnung bei Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Leistungserbringer nach SGB II.
8. Der neue Obhutselternteil hat gegen den bisherigen Obhutselternteil einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch auf Auskehrung des von diesem nach dem Obhutswechsel des Kindes weiter bezogenen Kindergelds.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2, §§ 1610, 1629 Abs. 3 S. 1; EStG § 64 Abs. 2 S. 1; SGB II § 33 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
AG Bad Neuenahr-Ahrweiler (Aktenzeichen 62 F 159/22) |
Tenor
Auf die Beschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 23.12.2022 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin für das Kind Ca.T., geboren am ...03.2007, einen rückständigen Kindesunterhalt für die Monate Mai 2022 bis September 2023 in Höhe von 2.723,32 EUR sowie ab Oktober 2023 einen monatlichen, jeweils im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 100% des jeweiligen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe gemäß § 1612a Abs. 1 BGB gemindert um das hälftige Kindergeld für ein erstes Kind, derzeit also einen Unterhalt von 463 EUR/mtl., zu zahlen.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin für das Kind M.T., geboren am ...12.2012, einen rückständigen Kindesunterhalt für die Monate Mai 2022 bis September 2023 in Höhe von 2.438,08 EUR sowie ab Oktober 2023 einen monatlichen, jeweils im Voraus fälligen Kindesunterhalt in Höhe von 100% des jeweiligen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe gemäß § 1612a Abs. 1 BGB gemindert um das hälftige Kindergeld für ein zweites Kind, derzeit also einen Unterhalt von 377 EUR/mtl., zu zahlen.
3. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin 1.326 EUR zu zahlen.
4. Der weitergehende Antrag wird teilweise als unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen.
5. Die Kosten des Verfahrens erste...