Leitsatz (amtlich)
Der Senat möchte seiner Entscheidung den Rechtssatz zugrunde legen, dass auch in Verfahren, die Verstöße gegen die Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten von Berufskraftfahrern zum Gegenstand haben, der allgemeine Tatbegriff des § 264 StPO gilt, mit dem es nicht zu vereinbaren ist, dass mehrere materiell-rechtlich selbständige Handlungen im Sinne des § 20 OWiG unabhängig von den Umständen des Einzelfalles allein deshalb als eine einzige prozessuale Tat angesehen werden, weil sie innerhalb eines bestimmten (Überwachungs- oder Kontroll-)Zeitraumes begangen wurden.
Normenkette
EGV 561/2006 Art. 6; StPO § 264; OWiG § 79 Abs. 2; FPersG § 8a; EGV 561/2006 Art. 8, 7
Tenor
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung folgender Frage vorgelegt:
Ist es mit §§ 46 OWiG, 264 StPO zu vereinbaren, wenn in Bußgeldsachen, die Verstöße gegen die Sozialvorschriften im Straßenverkehr zum Gegenstand haben, ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles mehrere rechtlich selbständige Handlungen im Sinne des § 20 OWiG allein deshalb als eine prozessuale Tat angesehen werden, weil der Betroffene sie innerhalb eines als Kontroll- oder Überprüfungszeitraum bezeichneten Tatzeitraumes begangen hat?
Gründe
I.
1.
Mit Schreiben vom 8. März 2011 forderte die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord die F. GmbH, die Arbeitgeberin des Betroffenen, auf, zwecks Überprüfung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr u.a. Arbeitszeitnachweise für die als Fahrpersonal eingesetzten Mitarbeiter "durch Aufzeichnungen, Originalschaublätter von EG-Kontrollgeräten und Fahrtenschreibern oder durch elektronische Daten von digitalen EG-Kontrollgeräten" für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 31. Januar 2011 vorzulegen.
Nach Auswertung der Unterlagen wurde dem Betroffenen zur Last gelegt, in der Zeit vom 5. November 2010 bis zum 28. Januar 2011 insgesamt 36 rechtlich selbständige Ordnungswidrigkeiten begangen zu haben. Dabei handelt es sich um
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18 Fälle der verspäteten Fahrtunterbrechung (Art. 7 VO [EG] Nr. 561/2006);
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4 Fälle der Tageslenkzeitüberschreitung (Art. 6 Abs. 1 VO [EG] Nr. 561/2006);
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2 Fälle der Tagesruhezeitverkürzung (Art. 8 Abs. 2 VO [EG] Nr. 561/2006);
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4+ Fälle der verspäteten Fahrtunterbrechung in Tateinheit mit Tageslenkzeitüberschreitung und Tagesruhezeitverkürzung (Art. 7, 6 Abs. 1, 8 Abs. 2 VO [EG] Nr. 561/2006);
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5 Fälle der verspäteten Fahrtunterbrechung in Tateinheit mit Tageslenkzeitüberschreitung (Art. 7, 6 Abs. 1 VO [EG] Nr. 561/2006);
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2 Fälle der verspäteten Fahrtunterbrechung in Tateinheit mit Tagesruhezeitverkürzung (Art. 7, 8 Abs. 2 VO [EG] Nr. 561/2006);
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1 Fall der Tageslenkzeitüberschreitung in Tateinheit mit Tagesruhezeitverkürzung (Art. 6 Abs. 1, 8 Abs. 2 VO [EG] Nr. 561/2006),
die der Vorurteilte nach den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 10. Mai 2012 teils vorsätzlich, teils fahrlässig und teils in einer Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination begangen haben soll.
Der von dem Betroffenen jeweils geführte Lastkraftwagen (26 t) war mit einem digitalen EG-Kontrollgerät ausgestattet.
Wochen- und Doppelwochenverstöße (Art. 6 Abs. 2, 3 VO [EG] Nr. 561/2006) werden dem Betroffenen nicht zur Last gelegt. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es solche, abweichend von den tatrichterlichen Feststellungen, gegeben haben könnte.
Von den verhängten Bußgeldern übersteigen nur zwei (Fälle 15 und 20) mit 420 € bzw. 440 € die 250 € - Grenze des § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Insgesamt soll der Betroffene 3.000 € zahlen.
2.
Ob die gegen das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 10. Mai 2012 auf die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen ohne Weiteres für alle Fälle zulässig ist oder in den 34 Fällen, in denen 250 € nicht übersteigende Geldbußen festgesetzt wurden, jeweils die Voraussetzungen des § 80 OWiG zu prüfen sind, hängt gemäß § 79 Abs. 2 OWiG davon ab, ob alle Verfehlungen Teilakte einer Tat im Sinne des § 264 StPO sind.
Der Senat, auf den die Sache mit Beschluss des Einzelrichters vom 12. September 2012 übertragen wurde, möchte dies verneinen und in den Fällen 1-14, 16-19 und 21-36 des angefochtenen Urteils das jeweils als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde anzusehende Rechtsmittel als unbegründet verwerfen, weil weder hinsichtlich des Schuldspruchs noch mit Blick auf die Rechtsfolgen die Voraussetzungen des § 80 OWiG vorliegen. Dabei möchte er seiner Entscheidung den Rechtssatz zugrunde legen, dass auch in Verfahren, die Verstöße gegen die Vorschriften über die Lenk- und Ruhezeiten von Berufskraftfahrern zum Gegenstand haben, der allgemeine Tatbegriff des § 264 StPO gilt, mit dem es nicht zu vereinbaren ist, dass mehrere materiell-rechtlich selbständige Handlungen im Sinne des § 20 OWiG unabhängig von den Umständen des Einzelfalles allein deshalb als eine einzige prozessuale Tat angesehen werden, weil sie innerhalb eines bestimmten (Kontroll-)Zeitraumes begangen wurden.
II.
1.
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich der Senat durch die Rechtsprechung...