Entscheidungsstichwort (Thema)
Belehrung. Wiedereinsetzung. Revision. Verwerfung. Protokoll der Geschäftsstelle. Prüfungskompetenz
Leitsatz (amtlich)
1. Einer unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung nach §§ 44 Satz 2, 346 Abs. 2 StPO steht eine unrichtige oder unvollständige Belehrung gleich.
2. Die Frage, ob die Revisionsanträge und ihre Begründung wirksam angebracht worden sind, unterliegt der alleinigen Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts. Die Nachprüfung des Tatrichters im Rahmen von § 346 Abs. 1 StPO beschränkt sich allein auf Äußerlichkeiten und damit die Frage, ob die Begründung des Tatrichters von einem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichnet oder zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht worden ist, nicht aber, ob sie auch wirksam angebracht worden ist.
Verfahrensgang
AG Mainz (Entscheidung vom 18.10.2010) |
AG Mainz (Entscheidung vom 27.05.2010) |
Tenor
1.)
Dem Angeklagten wird von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mainz vom 18. Oktober 2010 gewährt.
2.)
Der Beschluss des Amtsgerichts Mainz vom 18. Oktober 2010 wird aufgehoben.
3.)
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Mainz vom 27. Mai 2010 wird als unzulässig verworfen.
4.)
Die Kosten des Revisionsverfahrens sowie die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Angeklagten zur Last.
Gründe
I.
1.
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Mainz vom 27. Mai 2010, zugestellt am 30. Juni 2010, wegen Urkundenfälschung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Hiergegen legte er am 2. Juni 2010 Revision ein. Am 27. Juli 2010 erschien er auf der für den Strafrichter beim Amtsgericht Mainz zuständigen Geschäftsstelle und reichte eine von ihm selbst verfasste Revisionsbegründung ein, mit der er im Wesentlichen die Zustellung einer (lediglich) beglaubigten Abschrift des Urteils rügt. Die Justizbeschäftigte der Geschäftsstelle nahm die Revisionsbegründungsschrift entgegen und fertigte ein Protokoll des Inhalts an, dass der Angeklagte erschienen und seine Revisionsbegründung und weitere Anträge "zu Protokoll der Geschäftsstelle" eingereicht habe.
2.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 18. Oktober 2010, dem Angeklagten zugestellt am 25. Oktober 2010, verwarf der Strafrichter die Revision als unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt worden sei. Hiergegen legte der Angeklagte am 30. Oktober 2010 beim Oberlandesgericht ein als "Beschwerde" bezeichnetes Rechtsmittel ein, mit dem er ausführt, seine Revisionseinlegung sei ordnungsgemäß erfolgt; das Rechtsmittel ging am 4. November 2010 beim Amtsgericht ein.
II.
1.
Der Angeklagte hat die Wochenfrist des § 346 Abs. 2 StPO zur Stellung des Antrags auf Entscheidung durch das Revisionsgericht versäumt. Der Antrag ging zwar am 30. Oktober 2010 beim Oberlandesgericht, jedoch erst am 4. November 2011 und damit nach Ablauf der Frist beim dafür zuständigen Amtsgericht ein. Der Antrag auf Entscheidung des Revisionsgerichts nach § 346 Abs. 2 StPO kann nach dem entsprechend anwendbaren § 306 Abs. 1 StPO aber nur beim Tatrichter gestellt werden (vgl. BGHR StPO § 346 Abs. 2 Antrag 1 m.w.N.).
Dem Angeklagten war jedoch gemäß §§ 44 Satz 1, 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Antrags auf Entscheidung durch das Revisionsgericht zu gewähren, da er ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Er wurde nicht ordnungsgemäß über die Einlegung dieses Rechtsmittels belehrt, da er ausweislich der Verfügung des Strafrichters vom 18. Oktober 2010 lediglich über das - hier unstatthafte - Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gemäß § 311 StPO belehrt wurde. Gemäß § 44 Satz 2 StPO ist die Versäumung der Frist des § 346 Abs. 2 StPO als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach § 346 Abs. 2 Satz 3 StPO unterblieben ist. Dies ist hier der Fall, denn eine unrichtige oder unvollständige Belehrung steht einer unterlassenen gleich (vgl. BGHSt 30, 182 ≪185≫; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 44 Rdnr. 23 m.w.N.). Da sein Rechtsmittel gemäß § 300 StPO als Antrag nach § 346 Abs. 2 StPO auszulegen ist, war ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen zu gewähren.
2.
Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, weil die Frage, ob die Revisionsanträge und ihre Begründung wirksam angebracht worden sind, der alleinigen Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts unterliegt. Gemäß § 346 Abs. 1 StPO darf das Gericht, dessen Urteil angefochten wird, das Rechtsmittel als unzulässig nur dann verwerfen, wenn es verspätet eingelegt worden ist oder wenn die Revisionsanträge nicht rechtzeitig oder nicht in der in § 345 Abs. 2 StPO vorgeschriebenen Form angebracht worden sind. Die Nachprüfung des Tatrichters beschränkt sich dabei allein auf Äußerlichkeiten, jede andere Zulässigkeitsprüfung...