Leitsatz (amtlich)

Im Arzthaftungsprozess sind die materielle Schadensersatz- frage und der Schmerzensgeldantrag untrennbar miteinander verknüpft. Ein Teilurteil über den Anspruch aus § 847 BGB ist daher nur statthaft, wenn zugleich ein Grundurteil über die weiteren Ansprüche ergeht.

 

Normenkette

ZPO §§ 301, 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 und S. 3; BGB §§ 276, 823, 847

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 24.01.2003; Aktenzeichen 10 O 19/00)

 

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Teilurteil der 10. Zivilkammer des LG Koblenz vom 24.1.2003 aufgehoben und die Sache, auch zur Entscheidung über die gerichtlichen Auslagen und die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Gerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

1. Die Kläger nehmen in Rechtsnachfolge ihres Sohnes, der während des Rechtsstreits an den Folgen eines Geburtsschadens verstorben ist, die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, indem sie sie gesamtschuldnerisch für ärztliche Versäumnisse verantwortlich machen. Das LG hat dem Klageverlangen durch Teilurteil insoweit stattgegeben, als es ein Schmerzensgeld von 55.000 Euro nebst Zinsen zugesprochen hat. Weitergehende Schmerzensgeldforderungen hat es verneint. Die Entscheidung über die materielle Ersatzpflicht der Beklagten ist insgesamt dem Schlussurteil vorbehalten worden.

Das greifen die Kläger mit der Berufung insoweit an, als sie einen Schmerzensgeldbetrag in der Größenordnung von mindestens 300.000 Euro begehren. Ihrer Ansicht nach rechtfertigt sich ein solcher Betrag aus dem Schadensumfang und dem Gesamtverhalten der Beklagten.

Ergänzend wird auf den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

2. Die Berufung der Kläger führt – ungeachtet der Säumnis der Beklagten in der Form eines streitmäßigen Urteils (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 539 Rz. 2) – zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache. Das erfordert die Vorschrift des § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 ZPO. Eines Parteiantrags bedarf es dieserhalb nicht (§ 538 Abs. 2 S. 3 ZPO).

a) Das Urteil des LG kann keinen Bestand haben, weil es sich dabei um ein Teilurteil handelt, das der Vorschrift des § 301 Abs. 1 ZPO nicht entspricht. Allerdings gestattet die Bestimmung den Erlass von Teilurteilen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur einer oder nur eine begrenzte Zahl zur Entscheidung reif sind. Dabei ist jedoch stets zu beachten, dass ein Widerspruch zwischen dem Teilurteil und der noch ausstehenden, zukünftigen gerichtlichen Entscheidung von vornherein ausgeschlossen sein muss (BGH v. 4.10.2000 – VIII ZR 109/99, MDR 2001, 105 = NJW 2001, 155; BGH v. 5.12.2000 – VI ZR 275/9, MDR 2001, 287 = BGHReport 2001, 96 = NJW 2001, 760). Insofern ist ein Teilurteil grundsätzlich nur dort möglich, wo es über Forderungen befindet, die sich so individualisieren und abgrenzen lassen, dass sie einer gesonderten Beurteilung fähig sind (BGH NJW 1999, 1638; OLG Hamm v. 2.6.1999 – 13 U 22/99, OLGReport Hamm 2000, 300 = VersR 2000, 1515; Musielak in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 301 Rz. 4). Ist das nicht der Fall, kommt der Erlass eines Teilurteils lediglich in Betracht, wenn über die restlichen, noch nicht ausgeurteilten Ansprüche ein Grundurteil ergeht, das den Gleichklang zwischen dem Teilurteil und der noch vorbehaltenen Entscheidung sicherstellt (§ 301 Abs. 1 S. 2 ZPO).

Dem hätte auch hier Rechnung getragen werden müssen. Die vom LG bejahte Frage, ob die Beklagten auf Schmerzensgeld haften, ließ sich nicht von der Frage nach ihrer Haftung auf materiellen Schadensersatz trennen. Beides leitet sich aus demselben Lebenssachverhalt her und konnte, ausgehend von einer jeweils identischen Anspruchsgrundlage, nur einheitlich beantwortet werden. Dem genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Mangels einer von ihr ausgehenden Bindungswirkung für die materielle Ersatzpflicht der Beklagten steht nämlich die Möglichkeit offen, Forderungen der Kläger auf materiellen Schadensersatz mit der Begründung zu verneinen, dass eine entspr. Haftung der Beklagten, gleich ob sie vertraglicher oder deliktischer Natur ist, bereits vom Ansatz her ausscheide.

Ein Grundurteil über die noch nicht ausgeurteilten Ansprüche, das einem solchen Widerspruch wirksam hätte begegnen können, ist nicht ergangen. Der Tenor der angefochtenen Entscheidung enthält hierzu keinen Ausspruch und kann auch anhand der Urteilsgründe insoweit nicht ergänzend ausgelegt werden.

b) Das bedeutet, dass das Teilurteil des LG aufzuheben und der von der Berufung erfasste Klageteil in die erste Instanz zurückzuverweisen ist. Zwar wäre der Senat befugt, zur Beseitigung des Verfahrensfehlers den vor dem LG anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits an sich zu ziehen und darüber mitzuentscheiden (Ball in Musielak, ZPO, 3. Aufl., § 538 Rz. 36). Eine solche Vorgehensweise wäre aber nicht sachdienlich, weil dann die gesamte Auseinan...

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