Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer in Form eines sog. Thermofensters die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motorschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Herstellerin in dem Bewusstsein gehandelt hat, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.

2. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.12.2020 (C 693/18), nach welcher ein zum Einsatz gebrachtes Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen sein dürfte, ist nicht geeignet, eine bereits zum - Jahre zurückliegenden - Zeitpunkt der Genehmigungszulassung bestehende subjektive Kenntnis der bei der Herstellerin verantwortlich Tätigen rückwirkend zu begründen.

3. Wenn das Kraftfahrt-Bundesamt im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens die in den Genehmigungsunterlagen bei der Beschreibung der Abgasrückführung enthaltenen Angaben "Ladelufttemperatur" und "kennfeldgesteuert" nicht zum Anlass nahm, bei der Herstellerin detailliertere Angaben abzufordern, geschah dies nicht aufgrund einer herstellerseitigen Täuschung, sondern deshalb, weil das Kraftfahrt-Bundesamt damals die ihm vorliegenden Hinweise auf ein verbautes Thermofenster als nicht bedenklich einstufte.

4. Dass das Kraftfahrt-Bundesamt bei einzelnen Fahrzeugtypen die zum Einsatz gebrachte Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung als unzulässige Abschalteinrichtung einstuft, reicht nicht aus, um eine solche Motorsteuerungsmaßnahme stets als unzulässige Abschalteinrichtung ansehen zu können.

5. Ein eventuell bei der Herstellerin gegebenes Wissen bzw. ein ihr eventuell zur Last fallendes arglistiges Verhalten kann ihren Vertragshändlern nicht zugerechnet werden.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Aktenzeichen 1 O 86/19)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 27.02.2020, Aktenzeichen 1 O 86/19, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Dieses Urteil und das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Koblenz sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Die Revision wird zugelassen, soweit die Berufung des Klägers in Bezug auf die Beklagte zu 2. zurückgewiesen worden ist.

 

Gründe

I. Mit seiner Klage begehrt der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1. die Rückzahlung des Kaufpreises eines von ihm erworbenen, nach seiner Auffassung von dem sogenannten Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuges, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte zu 1.. Gegenüber der Beklagten zu 2., der Herstellerin des Fahrzeugs, begehrt er die Feststellung der Verpflichtung, die ihm aus dem Erwerb des Fahrzeugs entstandenen Schäden im Zusammenhang mit der von der Beklagten zu 2. in das Fahrzeug eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtungen (so sein Vortrag) zu ersetzen.

Mit Kaufvertrag vom 27.10.2016 erwarb der Kläger von der Beklagten zu 1. einen gebrauchten M. GLK 220 CDI 4 M zu einem Kaufpreis von 24.800,00 EUR. Das Fahrzeug verfügt über einen mit Dieselkraftstoff betriebenen Motor der Baureihe OM 651, für den die EG-Typengenehmigung Euro 5 erteilt wurde. Gegenüber der Beklagten zu 1. hat der Kläger die Anfechtung des Kaufvertrages erklärt, hilfsweise den Rücktritt.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Beklagte zu 2. habe in das Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut. Hierbei handele es sich unter anderem um das sogenannte Thermofenster und die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung. Die unzulässigen Abschalteinrichtungen seien von der Beklagten zu 2. so konzipiert worden, dass die volle Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand funktioniere. Im normalen Fahrbetrieb würden hingegen Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb gesetzt, weshalb die NOx-Emissionen erheblich höher seien, als in der Testsituation. Darüber hinaus habe die Beklagte zu 2. auch Manipulationen hinsichtlich des On-Board-Diagnosesystems (OBD) vorgenommen. Über all diese Tatsachen sei er getäuscht worden. Die beklagten Parteien träten jeweils einheitlich auf und gingen arbeitsteilig vor. Als mögliche Nachteile der vorgenommenen Abgasmanipulationen sei unter anderem ein erhöhter Kraftstoffverbrauch, eine Minderleistung sowie eine Verkürzung der Lebenszeit des Dieselpartikelfilters möglich. Darüber hinaus liege auch ein merkantiler Minderwert vor. Bei der Beklagten zu 2. hätten hochrangige Führungspersönlichkeiten von den entsprechenden Manipulationen gewusst und diese gebilligt. Insoweit stünde ihm gegen die Beklagte zu 1. ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages und gegen...

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