Leitsatz (amtlich)

1. Eine Vereinbarung in einem Arbeitnehmerüberlassungsrahmenvertrag, nach der sich der Entleiher verpflichtet, den auf die Sozialversicherungsbeiträge entfallenden Vergütungsanteil unmittelbar an den Sozialversicherungsträger zu zahlen, stellt auch unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 02.12.2004 (IX ZR 200/03) und vom 14.07.2005 (IX ZR 142/02) aufgestellten Grundsätze eine wirksame Erfüllungsübernahme im Sinne des § 329 BGB dar. Sie trägt dem legitimen Interesse des Entleihers Rechnung, sich vor einer doppelten Inanspruchnahme zu schützen, ohne die Erreichung des Zwecks des § 28e Abs. 3 SGB IV, nämlich die Sicherstellung der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge und den arbeits- sowie sozialversicherungsrechtlichen Schutz des Leiharbeitnehmers, zu gefährden.

2. Die Bestellung eines "starken" vorläufigen Insolvenzverwalters ändert an der Direktzahlungsbefugnis der Entleiherin nichts, da dieser in bestehende Verträge der Insolvenzschuldnerin eintritt und deren Durchführung fortsetzt, soweit er diese nicht im Rahmen der allgemeinen Vorschriften beendet.

3. Die Erfüllungsübernahme führt zu einem Anspruch auf Befreiung der Verleiherin von den Sozialversicherungsansprüchen des Sozialversicherungsträgers bzgl. der an die Beklagte im Verleihzeitraum überlassenen Arbeitnehmer.

4. Direktzahlungen der Entleiherin an die Sozialversicherungsträger sind nicht auf die ältesten offenen Sozialversicherungsbeiträge der Verleiherin, sondern auf diejenigen Sozialversicherungsbeiträge zu verrechnen, die die an die Entleiherin überlassenen Arbeitnehmer und die zwischen ihr und der Verleiherin vereinbarten Überlassungszeiträume betreffen.

5. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens wandelt sich der sich aus der Erfüllungsübernahme ergebende Befreiungsanspruch jedenfalls dann in einen Zahlungsanspruch zur Insolvenzmasse um, wenn sich der Insolvenzverwalter nicht zur Fortsetzung der Arbeitnehmerüberlassungen auf Basis des Rahmenvertrags entscheidet. Zahlt der Entleiher nach Kenntnis von der Insolvenzeröffnung trotz Beendigung des Vertragsverhältnisses weiterhin unmittelbar an den Sozialversicherungsträger, befreit ihn dies nicht von seiner Zahlungspflicht gegenüber der Insolvenzmasse.

 

Normenkette

BGB § 185 Abs. 1, §§ 329, 362 Abs. 2; InsO § 22 Abs. 2, § 82 S. 1; SGB IV § 28e Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Aktenzeichen 8 O 396/16)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 08.07.2021; Aktenzeichen IX ZR 121/20)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 8. Zivilkammer - Einzelrichterin - des Landgerichts Koblenz vom 08.05.2019, Az.: 8 O 396/16, teilweise abgeändert und neu gefasst wie folgt:

1. Das Versäumnisurteil vom 15.11.2017 wird aufrechterhalten, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 26.220,88 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.417,72 EUR für die Zeit vom 13.02.2014 bis zum 17.02.2014, aus 21.463,85 EUR für die Zeit vom 18.02.2014 bis zum 21.02.2014, aus 40.354,67 EUR für die Zeit vom 22.02.2014 bis zum 25.02.2014, aus 24.301,88 EUR für die Zeit vom 26.02.2014 bis zum 27.02.2014, aus 50.101,01 EUR für die Zeit vom 28.02.2014 bis zum 11.03.2014, aus 44.571,46 EUR für die Zeit vom 12.03.2014 bis zum 21.03.2014 sowie aus 26.220,88 EUR seit dem 22.03.2014 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil vom 15.11.2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten der Säumnis der Beklagten im Termin am 15.11.2017, die diese selbst trägt, tragen der Kläger zu 48 % und die Beklagte zu 52 %. Die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin der Beklagten trägt der Kläger zu 48 %; im Übrigen trägt die Streithelferin ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 50.101,01 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche aus erbrachten Arbeitnehmerüberlassungen.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A. GmbH, E. (nachfolgend: Insolvenzschuldnerin), deren Geschäftsmodell in der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung bestand. Die Insolvenzschuldnerin und die Beklagte schlossen im Februar/März 2013 einen Rahmenvertrag über Arbeitnehmerüberlassungen. Dort ist in § 5 Folgendes geregelt:

§ 5 Fälligkeit und Vollzug

(1) Die Arbeitnehmerüberlassungsvergütung wird mit Zugang der Rechnung fällig. Der Auftraggeber gerät in Verzug, wenn der Rechnungsbetrag nicht innerhalb von 30 Kalendertagen ab Zugang der Rechnung auf dem Geschäftskonto des Personaldienstleisters eingeht.

(2) Die Zahlung der Rechnung erfolgt 30 Tage ...

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