Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine Person beim Überqueren einer Weide, auf welcher sich vier seit längerer Zeit als Herde zusammengefasste Pferde befinden, durch (mindestens) eines der Pferde verletzt, ohne dass aufklärbar ist, welches der Pferde die Verletzung herbeigeführt hat, greift für sämtliche Pferde die Gefährdungshaftung des Tierhalters (§§ 833 Satz 1, 830 Abs. 1 Satz 2 BGB).
2. Überquert ein Pferdehalter mittig eine Weide, auf der sich ausschließlich fremde Pferde befinden, verzichtet er bewusst auf jegliche Vorsichtsmaßnahmen, die man von einem erfahrenen Pferdehalter erwarten darf. Realisiert sich in einer solchen bewusst herbeigeführten Gefährdungssituation dann die von den Tieren ausgehende tiertypische Gefahr, kann sich der Geschädigte nicht mehr auf die grundsätzliche Gefährdungshaftung des Tierhalters berufen, sondern muss sich an seinem eigenen, für das Schadensereignis vorrangig prägenden Verursachungsbeitrag festhalten lassen.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 03.04.2009; Aktenzeichen 5 O 486/05) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des LG Koblenz vom 3.4.2009 - 5 O 486/05, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil und das in Ziff. 1 genannte Urteil des LG Koblenz sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
A. Am 8.9.2003 erlitt der Kläger auf einer Weide des Reiterhofs "S." erhebliche Verletzungen, u.a. eine Luxationsfraktur HWK 6/7 mit inkompletter Querschnittssymptomatik, eine Fibulaköpfchenfraktur, eine extraartikuläre Skapulafraktur sowie multiple Weichteilverletzungen. Zu diesem Zeitpunkt war er seit über 20 Jahren Pferdehalter und hatte sein aktuelles Pferd "Frederiko" für die Sommermonate auf dem "S." untergestellt. Inhaberin des "S." war damals die Beklagte zu 1).
Am Unfalltag erschien der Kläger auf dem "S.", um zu seinem Pferd auf einem abgetrennten Teil im hinteren Bereich der Weide zu gehen. Der kürzeste Weg zu diesem Teil der Weide verlief über einen anderen abgetrennten Teil der Weide, auf welchem sich insgesamt vier Pferde (darunter ein Pony) befanden. Diese vier Pferde wurden bereits seit längerer Zeit zusammen gehalten. Halter jeweils eines dieser vier Pferde waren die Beklagten zu 1) bis 4). Mitten auf dem von den vier Pferden beweideten Teil der Wiese wurde der schwer verletzte Kläger später aufgefunden. Er selbst verfügt über (nahezu) keine Erinnerungen an das Unfallereignis; Augenzeugen des eigentlichen Unfallereignisses konnten nicht ermittelt werden.
Die Parteien haben erstinstanzlich im Wesentlichen darüber gestritten, inwieweit die gemeinsame Haltung der vier Pferde fehlerhaft war, und ob das mittige Überqueren der Weide ein so erhebliches Mitverschulden des Klägers begründe, dass dahinter die Haftung der Tierhalter und -aufseher zurücktrete.
Das LG hat durch die angefochtene Entscheidung, auf deren tatsächliche Feststellungen gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, die auf Zahlung von 110.644,49 EUR zzgl. eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie einer monatlichen Schmerzensgeldrente von 150,- EUR nebst Feststellung einer Schadenersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage insgesamt abgewiesen. Die Beklagte zu 3) sei nicht Halterin des ihr zugeordneten Ponys. Hinsichtlich der übrigen Beklagten unterfalle der vorliegende Sachverhalt nicht § 833 BGB. Dessen Schutzzweck sei nach der Rechtsprechung des BGH nicht eröffnet, wenn der Geschädigte selbst in der Lage sei, die Maßnahmen zu ergreifen, die seinen bestmöglichen Schutz gewährleisten und sein eigenes Interesse im Verhältnis zum Tierhalter den Gesichtspunkt aufwiege, dass dieser den Nutzen des Tieres habe. Hier hätte der Kläger ohne weiteres auf der anderen Seite des Zauns zu seinem Pferd gelangen können, so dass überhaupt kein Grund bestanden habe, den Weg über die Weide mit der Herde zu nehmen. Im Rahmen eines Ortstermins habe sich zudem gezeigt, dass die Sicht des Klägers nicht durch Büsche oder wegen eines leichten Anstiegs beeinträchtigt gewesen sei. Der Kläger habe demnach selbst die beste Möglichkeit gehabt, sich vor den von der Herde ausgehenden Gefahren zu schützen. Selbst wenn man den Schutzzweck der Norm weiterreichen lasse, treffe ihn ein derartig hohes Maß an Mitverschulden, dass die typische Tiergefahr als Unfallursache dahinter völlig zurücktrete. Der Kläger habe - trotz seiner Kenntnisse als langjähriger Reiter und Pferdehalter - ohne Notwendigkeit die Weide betreten und sich erst dadurch der Gefahr einer Verletzung durch die Tiere ausgesetzt. Dabei habe ihm bewusst sein müssen, dass ihn die Herde als Eindringling wahrnehmen konnte. Aus denselben Gründen scheitere auch eine vertragliche Haftung der Beklagten zu 1).
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner - im Hinblick auf den Beklagten zu 5) auf Empfehlung des Senats zurückgenommenen - Berufung, mit der er - nachdem er von einem ursprünglichen Erweiterungsvorbehalt in der mündlichen Verhandl...