Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtbeachten von Rotlicht (Ampel): nicht immer grob fahrlässig
Leitsatz (amtlich)
1. Das Nichtbeachten einer roten Lichtzeichenanlage stellt wegen der damit verbundenen Gefahren in aller Regel ein objektiv grob fahrlässiges Fehlverhalten dar. Subjektive Besonderheiten können im Einzelfall im Sinne einer Entlastung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen. Die Berufung auf ein sog. Augenblicksversagen genügt allein noch nicht, um ein objektiv grob fahrlässiges Fehlverhalten zu entschuldigen.
2. Der Vortrag des Versicherungsnehmers ist dahin zu prüfen, ob er Entschuldigungsgründe vorträgt, die über ein Augenblicksversagen hinausgehen. Solche Gründe können neben dem Heranfahren, Anhalten und Wiederanfahren bei Rotlicht aufgrund Fehldeutung eines im Blickfeld des Fahrers liegenden optischen Signals (hierzu jüngst BGH v. 29.1.2003 – IV ZR 173/01, MDR 2003, 505 = BGH-Report 2003, 428 [430] mit Anm. Reinert) auch die Fehlreaktion aufgrund eines akustischen Signals – Hupen eines anderen Fahrzeugs, das der Versicherungsnehmer auf sich bezieht, so dass er sich als erstes Fahrzeug an der Ampel subjektiv plötzlich mit einer Eilsituation konfrontiert sieht – sein.
Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 06.02.2003; Aktenzeichen 6 O 296/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Trier vom 6.2.2003 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.682,45 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.12.2002 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte wegen eines Verkehrsunfalls aus Vollkaskoversicherung in Anspruch.
Am 4.5.2002 fuhr der Kläger mit seinem Pkw Opel Zafira aus Richtung Bi. kommend über die K.-W.-Brücke auf dem rechten Fahrstreifen Richtung T.-Innenstadt. Nach Überqueren der Brücke hielt er an der Kreuzung M.-ufer an der für seine Spur Rot zeigenden Ampel als erstes Fahrzeug an. Der Kläger legte den ersten Gang ein und ließ die Kupplung durchgetreten. Als er sich auf eine Frage seiner auf der Rückbank sitzenden beiden Söhne (Kleinkindern) nach hinten gewandt hatte, hörte der Kläger ein Hupen aus der Schlange hinter sich. Daraufhin fuhr er, ohne noch einmal auf die Ampel zu blicken, über die Kreuzung. Dabei nahm er an, das Hupen habe ihn darauf aufmerksam machen wollen, dass die Ampel zwischenzeitlich auf Grün umgesprungen sei. Tatsächlich zeigte die Ampel aber immer noch Rot. Im Kreuzungsbereich kam es zu einer Kollision mit einem vorfahrtsberechtigten Fahrzeug.
Der Kläger begehrt Ersatz seiner unfallbedingten Reparaturkosten abzgl. der vereinbarten Selbstbeteiligung i.H.v. 5.682,45 Euro nebst Zinsen. Er beruft sich auf ein Augenblicksversagen und bestreitet ein grob fahrlässiges Herbeiführen des Verkehrsunfalls.
Die Beklagte hat sich auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls berufen. Besondere Umstände, die das Versagen des Klägers in einem milderen Licht erscheinen ließen, seien nicht ersichtlich.
Das LG hat die Klage abgewiesen und Leistungsfreiheit des Versicherers wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls angenommen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung.
II. Die Berufung ist begründet.
Dem Kläger steht gem. §§ 12 Nr. 1 Abs. 2 lit. e) AKB, 13 Nr. 1 AKB ein Anspruch aus der Vollkaskoversicherung gegen die Beklagte zu. Die Beklagte kann sich nicht auf Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls berufen (§ 61 VVG).
Das Nichtbeachten einer roten Lichtzeichenanlage stellt wegen der damit verbundenen Gefahren in aller Regel ein objektiv grob fahrlässiges Fehlverhalten dar. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH v. 29.1.2003 – IV ZR 173/01, MDR 2003, 505 = BGHReport 2003, 428; v. 18.12.1996 – IV ZR 321/95, MDR 1997, 348 = VersR 1997, 351).
Nach st. Rspr. gilt für den Begriff der groben Fahrlässigkeit nicht ein ausschließlich objektiver, nur auf die Verhaltensanforderungen des Verkehrs abgestellter Maßstab. Vielmehr sind die Umstände zu berücksichtigen, welche die subjektive, personale Seite der Verantwortlichkeit betreffen (BGH v. 8.7.1992 – IV ZR 223/91, MDR 1992, 945 = NJW 1992, 2418). Subjektive Besonderheiten können im Einzelfall im Sinne einer Unterlassung von dem schweren Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen. Ein Augenblicksversagen genügt entgegen der weit verbreiteten obergerichtlichen Rspr. (u.a. OLG Hamm v. 28....