Leitsatz (amtlich)
1) Bei einer Zwangserkrankung handelt es sich um einen gefahrerheblichen Umstand, der geeignet ist, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss haben kann. Eine vorvertragliche Anzeigenpflichtverletzung kann nur angenommen werden, wenn sich die Versicherungsnehmerin bei Antragsaufnahme des Krankheitswerts ihrer Beschwerden bewusst gewesen ist. Dies kann nicht bereits daraus abgeleitet werden, dass die Versicherungsnehmerin Ekel vor Urin, Blut, unhygienischen Gegenständen und Personen empfindet.
2) Für die Bejahung einer Berufsunfähigkeit genügt nicht der Hinweis, dass die Versicherungsnehmerin einer BfA-Rente erhält. Der Sachvortrag verlangt eine konkrete Arbeitsplatzbeschreibung, mit der die in diesem Bereich regelmäßig anfallenden Tätigkeiten nach Art, Umfang und Häufigkeit, insbesondere aber auch nach ihren Anforderungen an die (auch körperliche) Leistungsfähigkeit für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (in Anknüpfung an BGHZ 119, 263, 266 = VersR 1992, 1386, 1387; BGH VersR 1996, 1090, 1091).
3) § 2 Abs. 3 BB-BUZ schreibt lediglich die Prognose fehlender Besserung fest, nicht aber den Grad der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes in seiner Auswirkung auf die bisherige Berufsausübung und die Ausübbarkeit von sogenannten Vergleichstätigkeiten (in Anknüpfung BGH VersR 1989, 903, 904; Senatsurteil vom 4. Januar 2002 – 10 U 1768/00).
Normenkette
VVG §§ 16, 21; BB-BUZ § 1 Nr. 1 i.V.m, § 2 Nr. 1, § 2 Abs. 3; SGB VI § 43 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 26.01.2001; Aktenzeichen 16 O 23/00) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 26. Januar 2001 aufgehoben und das Verfahren an das Landgericht zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen.
Das Landgericht wird über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch.
Zwischen den Parteien bestand seit dem 24. April 1997 eine Kapitallebensversicherung mit Unfallzusatzversicherung und Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung unter der Versicherungsschein-Nummer … Dem Vertragsschluss war am 29. März 1997 die Antragsaufnahme vorausgegangen, an der die Klägerin sowie ein Mitarbeiter der Beklagten. Herr A. F. teilnahmen. Die Beantwortung der Antragsfragen unter Ziffer IV. des Antragsformulars der Beklagten ergaben keine Anhaltspunkte für Vorerkrankungen der Klägerin. Insbesondere die Fragen unter IV.3 „Leiden oder litten Sie an Krankheiten, Störungen oder Beschwerden der Verdauungsorgane (z. B. Magen/Darmgeschwüre, Blutungen, Leber- und Gallenblasenleiden, Bauchspeicheldrüsenerkrankung?)” und IV.6. „Leiden oder litten Sie an Krankheiten, Störungen oder Beschwerden des Gehirns, des Rückenmarks, der Nerven (z. B. Schlaganfall. Lähmungen, Krämpfe, Epilepsie, Schwindel, Gemüts-/Gejstesstörungen, häufige Kopfschmerzen?)” wurden mit „nein” beantwortet. Die als Verwaltungsangestellte tätige Klägerin, deren Arbeitsplatz durch starken Publikumsverkehr gekennzeichnet war, erkrankte im Juli 1998 arbeitsunfähig und erhält seit März 1999 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ebenfalls seit März 1999 ist sie als schwerbehindert wegen psychischer Erkrankung und Tinnitus (Hörstörung) anerkannt. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31. Dezember 1998 gekündigt. Im Oktober 1998 wandte sich die Klägerin an die Beklagte, um diese auf Versicherungsleistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch zu nehmen. Nach Einholung von Auskünften bei den behandelnden Ärzten trat die Beklagte am 02. Dezember 1998 von dem Versicherungsvertrag zurück. Ihren Rücktritt stützte sie auf bei Antragsaufnahme nicht erwähnte Vorerkrankungen der Klägerin. Diese habe bei Antragstellung nicht angegeben, dass sie im Kindesalter an einer asthmoiden Bronchitis gelitten habe, die eine Heilbehandlung an der Nordsee erforderlich machte. Zudem habe die Klägerin seit Eintritt in das Berufsleben bestehende Magenschmerzen (Colon irritabile), die zu häufigeren Arbeitsunfähigkeitszeiten der Klägerin geführt hätten, verschwiegen. Hinzu komme eine im Januar 1995 diagnostizierte Adynamie (Schwäche. Kraftlosigkeit) sowie ein Ekzem und eine allergische Rhinitis (Heuschnupfen). Ferner liege eine Zwangserkrankung mit depressiver Persönlichkeitsstruktur vor, die seit dem Tod des Vaters der Klägerin im August 1995 bestehe.
Die Klägerin hat vorgetragen,
die Zwangserkrankung, die sich insbesondere durch Waschzwang und Kontrollzwang äußere, sei erstmalig am 21. Juli 1997 durch plötzlich auftretende akute Probleme feststellbar gewesen. Erst durch die sich daran anschließende ärztliche Behandlung sei sie in das Krankheitsbild von Zwangserkrankungen eingeführt worden, weshalb ihr im Vorfeld keine Beschwerdesymptomatik aufgefallen sei. Infolge der für sie nicht erkennbaren...