Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit eines Lagerarbeiters in einer Reifenfirma
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Frage, ob bei einem Lagerarbeiter in einer Reifenfirma eine mindestens 50-prozentige Berufsunfähigkeit besteht, ist aus arbeitsmedizinischer Sicht nicht nur eine Beurteilung der orthopädischen Beschwerden maßgebend. Weitere Beeinträchtigungen des Herzens, des Kreislaufs, der Amtungsorgane sowie eine psychische Beeinträchtigung können in der Gesamtschau eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit rechtfertigen (in Anknüpfung an BGH, Urt. v. 22.9.1993 - IV ZR 203/92, MDR 1994, 142 = VersR 1993, 1470 [1471]; OLG Koblenz, Urt. v. 27.8.1999 - 10 U 105/91, R+S 2000, 433 = Zfs 2000, 504 = VersR 2000, 1224; v. 10.11.2000 - 10 U 278/00, NVersZ 2001, 212 = R+S 2002, 33 = VersR 2002, 344; v. 29.6.2001 - 10 U 1073/99, VersR 2002, 469; Urt. v. 29.11.2002 - 10 U 211/02, OLGReport Koblenz 2003, 277 = NJW-RR 2003, 682 = VersR 2003, 759).
2. Auch bei einer angeborenen Intelligenzminderung des VN kann eine Beeinträchtigung der Berufsfähigkeit erst nach Eintritt des Vertragsverhältnisses erfolgt sein, insb. wenn diese in unmittelbaren Zusammenhang mit einer nach Vertragsschluss aufgetretenen depressiven Symptomatik steht (in Anknüpfung an BGH, Urt. v. 27.1.1993 - IV ZR 309/91, MDR 1993, 422 = VersR 1993, 469 [470]).
Normenkette
BB-BUZ § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
LG T. (Urteil vom 03.04.2003; Aktenzeichen 3 O 7/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des LG T. vom 3.4.2003 unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
I.1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.881,54 EUR nebst 4 % Zinsen aus 9.739,35 EUR ab dem 20.2.2001 und nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.492,90 EUR ab 20.2.2001 und aus 649,29 EUR ab 1.3.2001 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, für die Zeit ab 1.4.2001 monatlich 649,29 EUR, und zwar in Vierteljahresraten jeweils zum 1. eines Kalendervierteljahres im Voraus, längstens bis zum 1.1.2035, für die bis zum 22.4.2005 fällig gewordenen Beträge jeweils verzinslich mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. des jeweiligen Fälligkeitsmonats zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass der Kläger für die Zeit ab Februar 1999 keine Beiträge mehr zur Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei der Beklagten unter der Nr. schuldet.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten beider Rechtszüge trägt der Kläger 6/100, die Beklagte 94/100.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte aus Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch.
Der am 15.7.1969 geborene Kläger unterhält seit Dezember 1986 bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Am 17.2.1999 stellte er den Antrag auf Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, die er mit orthopädischen Beschwerden sowie Depressionen (Antriebslosigkeit, Konzentrationsmängel u.a.) begründete. Die Beklagte verweigerte Versicherungsschutz.
Nach seinem Schulabschluss trat der Kläger erfolgreich eine Lehre als Schlosser an, war später in diesem Beruf jedoch nicht tätig. Von 1991 bis März 1999 war er durchgehend als Lagerarbeiter bei der Reifenfirma M. beschäftigt. Zu seinem Aufgabengebiet gehörte es, Reifen von Lkws abzuladen und auf Förderbänder zu legen sowie diese Reifen dann mit einem Gabelstapler in eine Lagerhalle zu transportieren und einzusortieren. Die Arbeiten wurden jeweils von 3 Arbeitern bewerkstelligt, wobei diese abwechselnd mit dem Beladen, dem Gabelstaplerfahren und dem Sortieren betraut wurden. Nachdem der Kläger mehrmals in Jahren 1997 und 1998 wegen Krankheiten arbeitsunfähig war, wurde ihm vom Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nahegelegt. Da er dieser Empfehlung nicht folgte, wurde ihm im Januar 1999 betriebsbedingt gekündigt. Seit März 1999 ist er arbeitslos.
Der Kläger befand sich seit der Kündigung durchgehend in nervenfachärztlicher Behandlung bei Dr. N.. Er hat bei der Landesversicherungsanstalt wegen Erwerbsunfähigkeit einen Rentenantrag gestellt, der abschlägig beschieden wurde. Nach Klageerhebung und Einholung eines Gutachtens von Dr. N., der auf Grund psychischer Auffälligkeiten des Klägers von einer Erwerbsunfähigkeit von vorerst 2 Jahren ausging, wurde ihm durch Urteil des Sozialgerichts T. vom 9.1.2001 (4 R 189/00) eine befristete Rente bewilligt. Diese wird zwischenzeitlich als Dauerrente weitergezahlt.
Der Kläger ist der Ansicht, die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente seien gegeben. Er sei auf Grund degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule auf Dauer nicht in der Lage...