Entscheidungsstichwort (Thema)
Entlastungsbeweis bei Fahrradunfall eines 5. jährigen Kindes
Leitsatz (amtlich)
1. Ein 5 - jähriges, auf dem Bürgersteig radelndes Kindes muss nicht derart eng überwacht werden, dass der Aufsichtspflichtige jederzeit eingreifen kann. Ebenso wenig muss der Aufsichtspflichtige dafür sorgen, dass das Kind generell vor Biegungen des Gehwegs anhält und dort verharrt.
2. Ein Verstoß gegen die Pflicht, dem Kind auf Sicht- und Rufweite zu folgen, ist haftungsrechtlich unerheblich, wenn feststeht, dass ihre Beachtung den Unfall nicht vermieden hätte.
3. Über einen Feststellungsantrag darf zwar nicht durch Grundurteil entschieden werden. Das ist aber nicht der Fall, wenn sich aus dem Gesamtinhalt des Urteils hinreichend deutlich ergibt, dass dem Feststellungsbegehren umfassend entsprochen wurde (Abgrenzung zu OLG Koblenz in NJW -RR 2011, 1002).
Normenkette
BGB § 832 Abs. 1 S. 2; StVO § 2 Abs. 5 Sätze 1-2; ZPO §§ 256, 304
Verfahrensgang
LG Trier (Entscheidung vom 22.03.2011; Aktenzeichen 11 O 249/10) |
Tenor
1.
Auf die Berufung der Beklagten wird die Klage unter Aufhebung des Urteils der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 22.03.2011 abgewiesen.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger zur Last.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in entsprechender Höhe stellt.
4.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beklagte ist die Mutter des am 31.12.2003 geborenen Maurice, der den damals 76-jährigen Kläger am 23.08.2009 bei einem Zusammenprall verletzte. Der Kläger befand sich seinerzeit in der Biegung eines Fußweges. Maurice kam ihm mit dem Fahrrad entgegen und schlug gegen sein rechtes Bein. Wie schnell Maurice fuhr und wie intensiv die Kollision war, ist im Streit.
Der Kläger sieht sich in der Folge dauerhaft geschädigt. Er leide unfallbedingt unter einem offenen Bein und könne deshalb seinen Haushalt nicht mehr führen. Dafür macht er die Beklagte verantwortlich, die ihre Aufsichtspflicht verletzt habe.
Maurice war vor dem Unfallereignis zusammen mit einem ihm bekannten Erwachsenen auf einem Spielplatz gewesen. Der Zusammenstoß fand ohne dessen Beobachtung in deutlicher Entfernung statt, nachdem Maurice allein fortgeradelt war.
Mit seiner Klage hat der Kläger ein mit mindestens 10.000 EUR zu bezifferndes Schmerzensgeld, einen fortlaufenden Haushaltsführungsschaden und vorgerichtliche Anwaltskosten geltend gemacht. Darüber hinaus hat er die Feststellung einer umfassenden Haftung der Beklagten begehrt.
Das Landgericht hat Zeugenbeweis erhoben und sodann das Ersatzverlangen des Klägers dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Seiner Auffassung nach war Maurice unzulänglich beaufsichtigt. Er habe bei seiner Fahrradfahrt begleitet und überwacht werden müssen. Dafür habe die Beklagte nicht gesorgt. Der bekannte Erwachsene, mit dem Maurice auf dem Spielplatz gewesen sei, habe seiner Aussage nach keine Fürsorgepflichten übernommen.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie erstrebt die Abweisung der Klage, hilfsweise die Rückgabe des Rechtsstreits in die erste Instanz. Sie rügt, dass das Landgericht nicht generell durch ein Grundurteil habe entscheiden dürfen, sondern über den Feststellungsantrag des Klägers durch ein Teilurteil habe befinden müssen. Darüber hinaus habe es versäumt, sich zu dem Mitverschulden des Klägers zu äußern. In der Sache sei verkannt worden, dass die behauptete weitreichende Schadenskausalität des Unfalls nicht feststehe. Zudem fehle es an einer Aufsichtspflichtverletzung. Sie, die Beklagte, habe darauf vertrauen dürfen, dass Maurice durch den Bekannten, mit dem er auf dem Spielplatz gewesen sei, überwacht werde. Unabhängig davon habe es aufgrund der örtlichen Situation nicht einmal einer Überwachung bedurft.
Dem tritt der Kläger entgegen. Er erachtet das landgerichtliche Urteil für formal unangreifbar. Darüber hinaus ist es aus seiner Sicht auch sachlich richtig. Maurice sei in der Unfallsituation ohne die erforderliche Aufsicht gewesen. Das habe die Beklagte zu verantworten. Darauf, ob das Unfallereignis die behaupteten Schadensfolgen gehabt habe, komme es für die im Berufungsverfahren allein zu beantwortende Frage nach der grundsätzlichen Haftung der Beklagten nicht an.
II.
Die Berufung führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Über die von der Beklagten hilfsweise beantragte Rückgabe des Rechtsstreits in die erste Instanz ist damit nicht mehr zu befinden.
1.
Die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen würden auch nicht greifen. So ist der Feststellungsantrag des Klägers entgegen der Ansicht der Beklagten durch das Landgericht beschieden und stillschweigend zuerkannt worden. Die erstinstanzliche Entscheidung ist nämlich nicht als Teilurteil bezeichnet; außerdem lässt sich den Gründen nichts dafür entnehmen, dass sie sich auf die beziff...