Leitsatz (amtlich)

1. Ein Schadensersatzanspruch des Käufers eines vom sog. Dieselskandal betroffenen Gebrauchtfahrzeugs gegen dessen Hersteller gemäß §§ 826, 249 Abs. 1 BGB oder §§ 823 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 263 StGB scheidet jedenfalls dann aus, wenn er das Fahrzeug erst hinreichende Zeit nach öffentlichem Bekanntwerden des Dieselskandals erworben hat. Dem Hersteller ist zumindest in diesem Fall kein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten bzw. keine Täuschung des Käufers im maßgebenden Zeitpunkt des Kaufs vorzuwerfen.

2. In diesem Fall kann es zudem an der Kausalität einer Handlung der Beklagten für einen Schaden des Klägers in Gestalt des Abschlusses eines wirtschaftlich nachteiligen Vertrags mangeln.

 

Normenkette

BGB § 249 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 826; StGB § 263

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 17.05.2019; Aktenzeichen 9 O 183/18)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Mainz vom 17.05.2019, Az.: 9 O 183/18, wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 7.875,00 EUR festgesetzt (Antrag zu 1): 5.875,00 EUR; Antrag zu 2): 2.000,00 EUR).

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal Zahlung von Schadensersatz aufgrund des Kaufs eines betroffenen Gebrauchtfahrzeugs.

Am 28.10.2016 erwarb der Kläger bei einem Autohaus den VW Tiguan Sport & Style 4 Motion mit der Fahrzeugidentifikationsnummer..., erstmals zugelassen am 18.10.2012, zum Preis von 23.500,00 EUR. Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Pkw ist mit einem Dieselmotor Typ EA 189 ausgestattet. Bei diesem Motortyp ist eine Software eingebaut, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt. Es ergeben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Für die Erteilung der Typengenehmigung war der Stickoxidausstoß im Prüfstand maßgebend.

Ab September 2015 wurde - ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 - über den Abgasskandal betreffend Motoren vom Typ EA 189 in den nationalen und internationalen Medien ausführlich berichtet. Zeitgleich mit der Pressemitteilung informierte die Beklagte ihre Vertragshändler, Servicepartner und anderen Konzernhersteller über den Umstand, dass Fahrzeuge mit dem Motor Typ EA 189 über die beschriebene Umschaltlogik verfügen. Die Beklagte schaltete im Oktober 2015 eine Website frei, auf der jedermann unter Eingabe einer Fahrzeugidentitätsnummer ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom Abgasskandal betroffenen Motor ausgestattet ist. Zu der Freischaltung gab die Beklagte ebenfalls im Oktober 2015 eine Pressemitteilung heraus. Darin wurde auch über den vom Kraftfahrtbundesamt beschlossenen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge berichtet und kündigte die Beklagte an, in Abstimmung mit den zuständigen Behörden an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten (s. dazu Anlage K 6). Entsprechend wurde in zahlreichen Medien berichtet. Über die Plattform konnte später auch ermittelt werden, ob auf ein bestimmtes Fahrzeug das zur Erfüllung der vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung erforderliche Software-Update bereits aufgespielt war. Zu den Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Beklagten hierzu unter Ziff. B. I. in der Berufungserwiderung vom 30.08.2019 (Blatt 250 RS ff.) verwiesen.

Die Parteien streiten erst- wie zweitinstanzlich unter anderem um die Frage, ob der Beklagten ungeachtet des Umstands, dass der Kläger seinen Pkw erst mehr als ein Jahr nach Bekanntwerden des Abgasskandals erworben hat, eine schadenskausale vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB oder ein Betrug zu Lasten des Klägers mit Schadensersatzfolge gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB vorgeworfen werden kann und ob die Beklagte ihm jedenfalls gemäß § 831 BGB oder gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem anderen Schutzgesetz haftet.

Der Kläger behauptet, er hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn er gewusst hätte, dass typengenehmigungswidrig eine Abschalteinrichtung benutzt wurde, die dazu führt, dass die Abgaswerte der Abgasnorm Euro 5 nur im Prüfstandmodus eingehalten werden. Die Umwelttauglichkeit, Gesetzeskonformität und uneingeschränkte Fahrmöglichkeit seien für ihn entscheidend für den Kauf des Fahrzeugs gewesen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von m...

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