Leitsatz (amtlich)
1. Das typische Interesse eines zumindest schon bestimmbaren Personenkreises in der Situation einer potentiellen Kreditgewährung vermag im Grundsatz die Datenverarbeitung und auch das weitere Vorhalten von Informationen (hier: erteilte Restschuldbefreiung) im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 lit.f DSGVO zu rechtfertigen.
2. Die DSGVO enthält keine ausdrückliche Begrenzung der Speicherfrist.
3. Für eine entsprechende Anwendung des § 3 InsBekV fehlt es an einer planwidrigen Gesetzeslücke, da sich der Gesetzgeber in Kenntnis der bis dahin bestehenden Auskunftspraxis der Schufa und anderer Auskunftsdateien im Rahmen der Neuregelung der Vorschriften über die Restschuldbefreiung schlussendlich bewusst gegen die Einführung einer Frist für die Speicherung der Daten über das Restschuldbefreiungsverfahren durch Auskunfteien entschieden hat.
4. Weder im Zusammenhang mit den Folgen der Covid-Pandemie für die Arzt-Praxis des Klägers noch im Zusammenhang mit der Ahr-Flutkatastrophe lässt sich eine derartige atypische Konstellation erkennen, die das Interesse des von diesen schwierigen Umständen betroffenen Klägers an einer Löschung seiner Daten über die erteilte Restschuldbefreiung auch unter Berücksichtigung der weiterhin gegebenen Interessen Dritter (hier: der Vertragspartner der Schufa) und der Allgemeinheit überwiegen ließe.
Verfahrensgang
LG Koblenz (Aktenzeichen 4 O 15/21) |
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 01.03.2022, Az.: 4 O 15/21, wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
III. Dieses Urteil und das in Ziffer I. genannte Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund der Urteile jeweils vollstreckbaren Beträge abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger, ein niedergelassener Arzt mit Hausarztpraxis in B., dem im Insolvenzverfahren vor dem Amtsgericht B. am 27.05.2020 Restschuldbefreiung erteilt wurde, nimmt die Beklagte auf Löschung des Eintrags über die Restschuldbefreiung in ihrer Datenbank sowie auf Rücksetzung des sogenannten "Score-Wertes" in Anspruch. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Feststellungen des Landgerichts im angegriffenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil dem Kläger ein Anspruch auf Löschung gemäß Art. 17 Abs. 1 DSGVO nicht zustehe. Ein solcher Anspruch ergebe sich insbesondere nicht aus Art. 17 Abs. 1 lit. d DSGVO, da die Beklagte die Daten des Klägers zu Recht verarbeitet habe, weil ein berechtigtes Interesse an der Datenverarbeitung gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO auf Seiten der Kunden der Beklagten bestehe. Die Speicherungsdauer der Daten habe sich entgegen der Auffassung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, auf die sich der Kläger beruft, nicht an der Vorschrift des § 3 Insolvenz-Internet-Bekanntmachungsverordnung [InsBekV] zu orientieren, sondern dürfe nach den "Verhaltensregeln für die Prüf- und Löschfristen von personenbezogenen Daten durch die deutschen Wirtschaftsauskunfteien", welche im Regelfall einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen den Beteiligten herstelle, drei Jahre betragen. Ein überwiegendes entgegenstehendes Interesse des Klägers, das von dem anderer Schuldner in derselben Situation abweiche, sei nicht gegeben. Auch ein Löschungsanspruch gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. a DSGVO sowie gemäß Art. 17 Abs. 1 lit.c DSGVO sei infolge Nichtvorliegens der Voraussetzungen zu verneinen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er verfolgt sein erstinstanzliches Klageziel unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags weiter. Er ist der Auffassung, die von der Beklagten praktizierte Speicherfrist von drei Jahren stelle einen Widerspruch zur sechsmonatigen Speicherfrist des § 3 Abs. 1 InsBekV dar. Das Landgericht habe verkannt, dass die Eingriffsintensität durch die Speicherung und Verbreitung durch die Beklagte auf Seiten des Schuldners wesentlich höher sei als die Bekanntmachung im Insolvenzbekanntmachungsportal. Der Kläger beruft sich insbesondere auf die Rechtsauffassung des OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 02.07.2021, Az. 17 U 15/21, und Urteil vom 03.06.2022, 17 U 5/22, sowie des Verwaltungsgerichts Wiesbaden, Beschluss vom 23.12.2021, Az.: 6 K 441/21 WI, mit dem das Verwaltungsgericht dem EUGH bestimmte Fragen in Bezug auf die Speicherpraktiken der Beklagten zur Beantwortung vorgelegt hat. Auf eigene Verhaltensregeln könne sich die Beklagte nicht berufen, ihr fehle daher eine Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung. Jedenfalls seien die Interessen und Grundrechte des Klägers gegenüber den Interessen der Beklagten oder ihrer Vertragspartner als überwiegend an...