Leitsatz (amtlich)

Für eine richterliche Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung gem. § 36 Abs. 2 PolG ist in Nordrhein-Westfalen dasjenige Amtsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk die betroffene Person in Polizeigewahrsam genommen wird, und zwar auch dann, wenn sie anschließend in eine Sammelstelle im Bezirk eines anderen Amtsgerichts verbracht werden soll (entgegen OLG Hamm NJW 2006, 2707; OLG Frankfurt NJW 2006, 3443; OLG Karlsruhe NJW 2009, 926).

 

Tenor

Örtlich zuständig für die richterliche Entscheidung gem. § 36 PolG NW nach polizeilicher Ingewahrsamnahme im Zusammenhang mit den für das Wochenende vom 08. bis 10.05.2009 geplanten Veranstaltungen der "Bürgerbewegung M" im Raum Köln ist für Personen, die im Bezirk des Amtsgerichts Siegburg in Gewahrsam genommen werden, das Amtsgericht Siegburg.

 

Gründe

I.

Am Wochenende vom 08. bis 10.05.2009 sind im Raum Köln Veranstaltungen, u. a. eine Großkundgebung der Organisation "Bürgerbewegung M" geplant, welche einen Polizeieinsatz wahrscheinlich machen. Vorbereitend hat die Polizei eine Gefangenensammelstelle (GeSa) in Brühl eingerichtet, in der betroffene Personen in Gewahrsam gehalten werden sollen. Die Polizei hat dem Amtsgericht Siegburg mitgeteilt, dass auch im dortigen Bezirk mit Polizeieinsätzen zu rechnen ist und dass Betroffene, die dort in Gewahrsam genommen werden, in die GeSa nach Brühl verbracht werden sollen.

Dem Senat ist durch eine telefonische Vorabinformation des Vorsitzenden am gestrigen Nachmittag und anschließender Übersendung eines Vermerks der Direktorin des Amtsgerichts Siegburg bekannt geworden, dass sowohl die Richter des Amtsgerichts Brühl wie auch diejenigen des Amtsgerichts Siegburg bei Personen, die im Zusammenhang mit den geplanten Veranstaltungen im Bezirk des Amtsgerichts Siegburg in Gewahrsam genommen werden, ihre örtliche Zuständigkeit verneinen. Ferner wurde seitens des Senats anhand einer Google-Recherche festgestellt, dass auf einer Internetseite seit dem 07.05.2009 13:06 eine Liste kursiert, wonach neben einem Treffpunkt am ICE Bahnhof Siegburg-Bonn als "einziger Treffpunkt, der für unabhängig anreisende Kongressteilnehmer öffentlich bekannt gegeben wird", weitere Treffpunkte vorgesehen sind (xxx).

II.

1.

Der Senat ist gem. § 5 Abs. 1 S. 1 FGG als gemeinschaftliches oberes Gericht der beteiligten Amtsgerichte zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts berufen. Die Sachentscheidungsvoraussetzungen der gesetzlichen Vorschrift liegen vor. Der Senat konnte, nachdem er von der Ungewissheit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage Kenntnis erlangt hat, auch ohne Vorlage durch eines der beteiligten Amtsgerichte das Bestimmungsverfahren von Amts wegen einleiten (OLG Hamm NJW 2006, 2707; Keidel/Sternal, FGG, 15. Aufl., § 5, Rz. 46).

Die Zuständigkeitsbestimmung ist auch bereits jetzt im Vorfeld etwaiger Ingewahrsamnahmen möglich. Zwar kann eine Bestimmung grundsätzlich nur ergehen, wenn die Gerichte, deren örtliche Zuständigkeit zweifelhaft ist, mit einer konkreten Angelegenheit bereits befasst sind. Von diesem Grundsatz ist indes eine Ausnahme nicht nur möglich, sondern sogar zwingend geboten, weil ansonsten die Gewährung effektiven Rechtsschutzes für die möglicherweise betroffenen Personen nicht gewährleistet wäre. Es muss nämlich aufgrund der mitgeteilten Auffassung der Richter der Amtsgerichte Brühl und Siegburg damit gerechnet werden, dass diese im Falle ihrer Befassung eine sachliche Entscheidung über eine Fortdauer der Freiheitsentziehung von Personen ablehnen werden, die im Amtsgerichtsbezirk Siegburg in Gewahrsam genommen werden. Da es sich bei diesen Ingewahrsamnahmen nur um Freiheitsentziehungsmaßnahmen von nicht langer Dauer, unter Umständen nur von einigen Stunden handeln wird, liegt es auf der Hand, dass in einer solchen Situation eine auf die jeweiligen konkreten Verfahren bezogene Zuständigkeitsbestimmung des Oberlandesgerichts nicht vor Beendigung der Maßnahme selbst ergehen könnte. Die Ablehnung einer richterlichen Sachentscheidung allein aus Gründen fehlender örtlicher Zuständigkeit würde also im Ergebnis dazu führen, dass der Rechtsschutz durch die richterliche Entscheidung, die § 36 Abs. 1 PolG NW für den Betroffenen auf der Grundlage des Art. 104 Abs. 2 S. 2 GG auch bei einer kurzfristigen Freiheitsentziehungsmaßnahme gerade gewährleisten will, vereitelt würde (OLG Hamm a. a. O.; OLG Frankfurt NJW 2006, 3443; OLG Karlsruhe NJW 2009, 926; LG Köln , Beschluss vom 27.04.2006 - 1 T 174/06 -).

Der Senat hat trotz der Veröffentlichung der Treffpunktliste, die auch zu Polizeieinsätzen an anderen Orten führen kann, die Zuständigkeitsbestimmung auf die von der Direktorin des Amtsgerichts Siegburg mitgeteilte Situation des Streits zweier Amtsgerichte in verschiedenen Landgerichtsbezirken zu beschränken, da er für die Bestimmung bei Streitigkeiten zwischen Amtsgerichten innerhalb desselben Landgerichtsbezirks nicht zuständig ist (§ 5 Abs. 1 FGG). Er hat sich ferner nur insoweit zu einer Bestimmung veranla...

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